Pfade Ins Zwielicht
Sucher, »zwei sind Euch in die Totenwache gefolgt, der dritte ist unter den geehrten Gefallenen aufgelistet. Eure Frau wäre sehr stolz gewesen.«
»Wie ist Euer Name, Sucher?« Das Schweigen, das er zur Antwort erhielt, war ohrenbetäubend. Mehr Leute widersprachen Suchern, als sich nach ihren Namen zu erkundigen.
»Mor«, kam schließlich die Antwort. »Almurat Mor.« Also Mor. Er hatte einen Ahnen, der Luthair Paendrag begleitet hatte, und war zu Recht stolz darauf. Ohne Zugang zu den Zuchtbüchern, der keinem Da'covale erlaubt war, konnte Karede nicht wissen, ob die Geschichten über seine eigene Herkunft der Wahrheit entsprachen - möglicherweise hatte auch er einen Vorfahren, der dem großen Falkenflügel gefolgt war -, aber es spielte keine Rolle. Männer, die versuchten, auf den Schultern ihrer Vorfahren zu stehen, fanden sich oftmals einen Kopf kürzer. Vor allem Da'covale.
»Nennt mich Furyk. Wir sind beide Besitz des Kristallthrons. Was wollt Ihr von mir, Almurat? Doch wohl nicht über meine Familie reden, oder?« Wären seine Söhne in Schwierigkeiten gewesen, hätte der Bursche sie nie so früh erwähnt, und Kalia war jenseits allen Elends. Aus dem Augenwinkel konnte Karede auf dem Gesicht des Suchers den inneren Kampf sehen, den er mit sich austrug, obwohl er ihn beinahe gut genug verborgen hätte. Der Mann hatte die Kontrolle über das Gespräch verloren - womit er hätte rechnen müssen; einem Totenwächter seine Marke zu zeigen, als wären sie nicht bereit, sich auf Befehl den Dolch ins eigene Herz zu stoßen.
»Hört einer Geschichte zu«, sagte Mor langsam, »und sagt mir, was Ihr davon haltet.« Sein Blick war unverwandt auf Karede gerichtet, er studierte ihn, wog ihn ab, schätzte ihn ein, als stünde er auf dem Verkaufsblock. »Das ist uns in den letzten Tagen zu Ohren gekommen.« Mit uns meinte er die Sucher. »Soweit wir sagen können, kam es unter der örtlichen Bevölkerung auf, obwohl wir die ursprüngliche Quelle noch nicht gefunden haben. Angeblich hat ein Mädchen mit seandarischem Akzent von Kaufleuten hier in Ebou Dar Gold und Juwelen erpresst. Der Titel Tochter der Neun Monde wurde erwähnt.« Er verzog angewidert das Gesicht, und einen Augenblick lang verfärbten sich seine Fingerspitzen weiß, da er sie so hart gegeneinander presste. »Keiner der Einheimischen schien zu begreifen, was der Titel bedeutete, aber die Beschreibung des Mädchens ist erstaunlich präzise. Und keiner kann sich erinnern, dieses Gerücht vor der Nacht gehört zu haben, in der ... die Nacht, nach der Tylins Ermordung entdeckt wurde«, kam er zum Schluss und erwähnte das am wenigsten unerfreuliche Ereignis, um die Zeit festzusetzen.
»Ein seandarischer Akzent«, sagte Karede tonlos, und Mor nickte. »Dieses Gerücht ist auch zu unseren Leuten vorgedrungen.« Das war keine Frage, aber Mor nickte erneut. Ein seandarischer Akzent und eine genaue Beschreibung, zwei Dinge, die kein Ortsansässiger erfinden konnte. Jemand spielte hier ein sehr gefährliches Spiel. Gefährlich für sich selbst und für das Reich. »Wie werden im Tarasin-Palast die Vorfälle der letzten Zeit aufgenommen?« Unter den Dienern würde es Lauscher geben, mittlerweile vermutlich sogar unter den Dienern aus Ebou Dar, und was die Lauscher hörten, wurde schnell an die Sucher weitergegeben.
Mor verstand die Frage natürlich. Es war unnötig, das zu erwähnen, was nicht erwähnt werden sollte. Er antwortete in einem gleichgültigen Tonfall. »Das Gefolge der Hochlady Tuon macht weiter, als wäre nichts geschehen, nur Anath, ihre Wahrheitssprecherin, hat sich zurückgezogen, aber wie man mir sagte, ist das nicht ungewöhnlich. Suroth ist im Privaten noch aufgewühlter als in der Öffentlichkeit. Sie schläft schlecht, faucht ihre Günstlinge an und lässt ihren Besitz wegen Nichtigkeiten prügeln. Sie hat befohlen, dass jeden Tag, an dem die Dinge nicht wieder in Ordnung gebracht worden sind, ein Sucher sterben soll, und hat diesen Befehl erst heute Morgen zurückgenommen, als ihr klar wurde, dass ihr eher die Sucher als die Tage ausgehen könnten.« Er zuckte kaum merklich mit den Schultern, vielleicht um zu zeigen, dass das für die Sucher nichts Besonderes war, vielleicht auch aus Erleichterung, noch mal davongekommen zu sein. »Es ist verständlich. Sollte man sie zur Rechenschaft ziehen, wird sie für den Tod der Zehntausend Tränen beten. Die vom Blut, die die Wahrheit kennen, versuchen sich Augen im Hinterkopf wachsen zu lassen.
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