Pfefferbeißer - Harz Krimi
einem Jahr hat er sich so gut wie gar nicht mehr für den
Betrieb interessiert. Ich will mich nicht beschweren. Das hatte auch seine
Vorteile. Ich konnte schalten und walten, wie ich wollte. Aber der Firma fehlte
der Kopf. Früher hat der Chef uns wenigstens mit Hilfe seiner Beziehungen noch
Großaufträge beschafft, in Braunschweig und in Hannover. Aber in letzter Zeit
ist er nur noch vorbeigekommen, um zu fragen, ob es laufen würde. Dann hat er
mir auf die Schulter geklopft, gesagt: ›Du machst das schon, Rupert!‹, und sich
wieder aus dem Staub gemacht. Meistens war er nur da, um ein paar
Unterschriften zu leisten. Oder er hat sich seine Jagdklamotten aus dem Spind
in der Mitarbeiterumkleide nebenan geholt, die hat er immer hier aufbewahrt,
weiß der Himmel, warum. Aber in letzter Zeit hatte er wohl auch auf die Jagd
keine Lust mehr gehabt. Ich hatte das Gefühl, dass er das Geschäft auf kurz
oder lang abstoßen wollte.«
»Wie war Hauke als Mensch?«, fragte Sina.
»Zu Helmut hatte ich keinen besonderen Draht. Wir sagten Du, weil es
Tradition war. Mit dem Alten konnte ich weit besser. Ich bin bei Gustav Hauke
in die Lehre gegangen, er hat mich aufgebaut. Gus war einer von uns, wissen
Sie, der war Heizungsbauer durch und durch, der war Kollege und dann erst
Chef.«
»Und das war bei seinem Sohn anders?«
»Ja. Helmut wollte eigentlich studieren, wie ich gehört habe, aber
sein Vater hat ihn nicht gelassen. Wozu muss man studieren, wenn man ein gut
laufendes Geschäft hat? Ist übrigens auch meine Meinung. Es gibt viel zu wenig
gute Fachkräfte am Markt. Hat das Heizungsgeschäft eher widerwillig betrieben,
der Helmut, und als Gus dann so krank wurde – hatte nur Arbeit in seinem
Leben gehabt, nur Arbeit –, da habe ich ihm versprochen, dass ich den
Laden, wenn nötig, allein führe. Denn am Ende musste sich Gus eingestehen, dass
er einen riesigen Fehler gemacht hatte, seinem Sohn das Geschäft aufzudrängen …«
»Und weil Hauke junior keine Lust auf Heizungsbau hatte, hat er sich
in die Politik gestürzt«, dachte Sina laut, schaute aber Stör an, als erwarte
sie eine Reaktion von ihm.
Der setzte seine Brille auf, als müsste er für die Antwort schärfer
sehen. »Keine Ahnung … kann schon sein … aber ihn haben noch andere
Sachen interessiert …«
»Zum Beispiel?«, fragte Niebuhr.
»Frauen«, sagte Stör, ohne nachzudenken, schien sich mit der Antwort
jedoch augenblicklich unwohl zu fühlen und versuchte abzuwiegeln. »Hören Sie,
das sind nur Vermutungen, ich will da nichts … Ich will nur sagen, es tut
mir leid, dass unser Chef auf so unschöne Art sterben musste …«
»Herr Stör«, beschwichtigte ihn Sina, »wir sind auf Ihre Aussage
angewiesen und dankbar, wenn Sie uns helfen.«
Stör beruhigte sich wieder und legte die Hände auf die
Schreibtischplatte.
»Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass ich weiß, dass er
Frauengeschichten hatte. Aber ich habe ihn nie mit einer gesehen.«
»Hat das Haukes Frau nicht gestört?«
»Dazu will ich nichts sagen. Verena, ich meine Frau Hauke, hat es
geduldet, warum auch immer. Verstanden hab ich das nie.«
Glühte da ein Funke Hass in den Augen des Geschäftsführers?
Doch in dem Moment blieb Sinas Blick an etwas Schwarzem hängen, das
auf dem Regal hinter Rupert Stör lag. »Wir suchen den Terminkalender Ihres
Chefs, ist der vielleicht hier?«
»Ja«, antwortete Stör, »er hat ihn auf dem Schreibtisch liegen lassen,
am Samstag, als er kurz im Geschäft war.« Er drehte sich in seinem Sessel,
griff nach dem schwarzen Büchlein und reichte es Sina.
»Zunächst einmal vielen Dank, Herr Stör«, sagte sie. »Sie hören von
uns, wenn wir noch Fragen haben.«
Kurz bevor sie gegangen waren, hatte Sina noch Haukes
Spind im Umkleideraum der Mitarbeiter seiner Firma geöffnet. Wie Stör gesagt
hatte, hing dort seine Jagdmontur. Einen Karton mit alten Fotos hatte sie auch
noch gefunden. Trophäenfotos. »Kreiner, Stieglitz und Fischer mit dem größten
Keiler aller Zeiten« war eines unterschrieben, ein anderes mit »Jagerfest auf
dem Brocken«. Zehn Jahre alt. Davon versprach sich Sina nicht viel. Von Haukes
Kalender, der mit Namen, Adressen, Terminen und Notizen vermutlich gespickt war,
dagegen umso mehr. Doch für heute war erst mal Schluss.
***
Als sie am frühen Abend nach Hause kam, stand die Hitze
immer noch in den Straßen, und sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich die
Klamotten vom Leib zu reißen. Im Wohnzimmer stand die
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