Pfefferbeißer - Harz Krimi
Keiner kann das!«
Sina schmunzelte. Charmant ist er und auch raffiniert, dachte sie.
»Auf eine Tasse habe ich Zeit, aber nur bis Ihr Sohn aus dem Gericht
zurück ist.«
»Das kann dauern, bitte kommen Sie.« Klawitter senior drehte sich um
und trat schon den Rückweg an. »Mit dem Laufen geht es nicht mehr so, wissen
Sie, Frau Kommissarin«, sagte er, als Sina ihn eingeholt hatte. »Aber das kann
man teilweise überwinden, indem man sich disponiert. Nur die nötigsten
Strecken. Disposition ist alles.« Seine Gesichtsfalten formierten sich zu einem
ironischen Lächeln.
»Ich weiß nicht mehr, ob ich mich Ihnen schon vorgestellt habe: Dr. Everhardt
Klawitter, emeritierter Professor der Jurisprudenz. Aber das ist schon fast
zwanzig Jahre her.«
Auch wenn er versuchte, bescheiden zu wirken, konnte er seinen Stolz
nicht ganz verbergen. Aber das störte Sina nicht. Er war bisher der
menschlichste aus den sogenannten höheren Kreisen, die ihr bei den Ermittlungen
in diesem Fall begegnet waren.
Im zweiten Stock überschritt Sina die Schwelle zur Welt der dunklen
Wandvertäfelungen, der echten Perser, der polierten alten Sekretäre und
Kommoden, der klassischen Radierungen, der antiken Ledersessel, der funkelnden
Kronleuchter und der glänzenden Messinglampen.
»Lassen Sie sich von der Einrichtung nicht beeindrucken. Alles
verblichener Glanz. Wenn Sie mal über achtzig sind, dann werden Sie wissen, was
ich meine. Manchmal erdrückt mich der ganze Krempel, aber ich bin einfach
außerstande, mich davon zu trennen.«
Fast unhörbar rutschte er wie auf Schlittschuhen mit seinen Filzpantoffeln
über das Parkett, vermutlich, um sich das Laufen zu erleichtern. Alles
Disposition, dachte Sina. In einem schönen Zimmer, das an zwei Seiten mit
unterteilten Fenstern bestückt war, machte er halt und wies ihr einen bequemen
Ohrensessel zu, der einem zweiten am marmorgefassten Kamin gegenüberstand. Dann
ließ er sich nieder und fingerte, etwas umständlich, ein Handy aus seiner
Hosentasche.
»Hier Klawitter, bringen Sie mir bitte zwei Kaffee und etwas Gebäck
in den zweiten Stock. Die Tür ist offen. Danke.« Zu Sina gewandt: »Sie werden
mir verzeihen, dass ich das nicht mehr selbst mache und mich, zugegeben etwas
schamlos, der Junganwälte bediene, die mein Sohn unten anstellt. Aber das Alter
fordert seinen Tribut, und man muss sich zu helfen wissen. Sie untersuchen also
einen spektakulären Mordfall …«
Also daher weht der Wind, dachte Sina. Der alte Fuchs wollte sie
aushorchen.
»Sie werden Verständnis haben …«
»… wenn Sie sich dazu nicht äußern dürfen. Natürlich,
natürlich, so war das nicht gemeint. Auch wenn es mich brennend interessiert.
Ich war Fachanwalt für Steuer- und Verwaltungsrecht. Leider nicht halb so
spannend wie die Mörderjagd.«
Sina lächelte, während sie einen Blick auf das große Ölbild warf,
das über dem Kamin hing. Sie verstand nichts von Kunst, aber vom Malstil schien
es moderner zu sein. Das Porträt einer Frau mit viel Blau und Weiß gearbeitet,
was ihr Gesicht blass machte und ihm einen leidenden Ausdruck verlieh. Auf dem
Messingschild unten am Rahmen konnte sie lesen: »Für meine Sofia«.
»Das ist mein Söfchen«, sagte Klawitter. »Gefällt es Ihnen?«
Bevor Sina antworten konnte, erschien die junge Frau, mit der sie
vorhin in der Kanzlei gesprochen hatte, und brachte auf einem Tablett den
Kaffee, mit Zucker bestreute Kekse und Geschirr, und stellte alles auf einem
Teewagen ab, den sie zwischen die beiden Ohrensessel schob.
»Danke, Sandra. Bitte rufen Sie kurz durch, wenn mein Sohn wieder
zurück ist«, sagte Klawitter, dann wandte er sich Sina zu: »Bitte bedienen Sie
sich. Milch und Zucker?«
Er nahm sich seine Tasse und kam wieder auf das Porträt zu sprechen.
»Dieses Bild ist ähnlicher als ein Foto, wissen Sie, es zeigt mein
Söfchen, wie es innerlich war, blass und erschöpft …«
Wahrscheinlich redet niemand mit ihm in diesem großen Haus, dachte
Sina. Ihr kam ihr Vater in den Sinn, der zum Glück nicht allein war. Was würde
Paps machen, wenn er Mutti nicht hätte, wem könnte er sonst den ganzen Tag mit
allem Möglichen in den Ohren liegen und auf die Nerven gehen?
»Ihre Frau?«
»Ja«, sagte Klawitter. Das Lächeln auf seinem Gesicht verflog, und
der heitere Unterton entglitt ihm. »Die meisten Morde finden in der Familie
statt, wie Sie sicherlich wissen. Man könnte meinen, diese Verbrechen würden
nur in der organisierten Kriminalität oder im
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