Pfefferkuchenhaus - Kriminalroman
wusste nicht, was ich tun sollte«, sagte Ingrid kleinlaut. »Ich bin wohl ziemlich durcheinander, aber mir ist außer dir niemand eingefallen, an den ich mich wenden könnte … Lach mich bitte nicht aus, aber … es liegt ein Toter in meiner Küche.«
»Großer Gott! Wer denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn vorher noch nie gesehen. Es waren keine Diebe oder so etwas, sie haben nichts angerührt. Er liegt einfach nur da und ist tot.«
»Das klingt ja unglaublich. Bist du sicher, dass er tot ist?«
»Absolut. Das spürt man. Irgendwie ist dann alles … ganz ruhig und still.«
»Du musst ja furchtbare Angst gehabt haben!«
»Deswegen bin ich ja hierher zurückgekommen.«
»Ja, natürlich. Du Ärmste«, tröstete sie Schwester Margit und legte einen Arm um ihre Schultern. »Du hast doch bestimmt die Polizei gerufen, oder?«
»Ich … Nein«, gestand Ingrid. »Es kam mir alles so … unwirklich vor. Ich konnte nicht …«
Schwester Margits erster Gedanke war, die Polizei anzurufen, aber plötzlich beschlich sie der Verdacht, dass Ingrid Johansson möglicherweise nicht ganz klar im Kopf war. Ein paar Sekunden lang musterte sie sie nachdenklich und schaute schließlich auf ihre Armbanduhr.
»Wir machen es so. In zweieinhalb Stunden habe ich Feierabend. Dann fahren wir gemeinsam zu dir nach Hause und machen uns dort darüber Gedanken, was wir unternehmen können. Okay?«
»Das wäre schön.«
»Macht es dir nichts aus, so lange zu warten?«
»Nein, nein. Das macht nichts.«
»Ich besorge dir Kaffee und Kuchen. Und eine Zeitschrift.«
Dann eilte sie hastig davon, wobei ihre Holzpantoffeln auf dem Fliesenboden klapperten. Ebenso schnell war sie wieder zurück, mit einem Kaffee, einer Rosinenschnecke, ein paar Keksen und einem Stapel Frauenzeitschriften.
»Brauchst du noch etwas?«
»Nein danke. Du bist so lieb zu mir, Schwester Margit.«
»Dann sehen wir uns gleich. Bis dann!«
Und so blieb sie allein zurück, ohne sich allerdings besonders einsam zu fühlen, denn sie war davon überzeugt, dass Schwester Margit dafür sorgen würde, dass alles aufs Beste geregelt werden würde.
Als Schwester Margit schließlich zurückkam, hatte sie den weißen Krankenhauskittel gegen eine schwarze Baumwolltunika getauscht, eine blaue, offen stehende Daunenjacke flatterte hinter ihr her, als sie auf Ingrid zueilte. Die weißen Holzpantoffeln waren zwei schwarzen Curlingschuhen gewichen. Das Klappern hatte sich in nahezu lautlose Schritte verwandelt.
»Mein Auto steht draußen auf dem Parkplatz«, sagte Schwester Margit und schenkte Ingrid ein warmes Lächeln. Gleichzeitig bot sie ihr einen Arm zur Unterstützung an, damit Ingrid sich aus dem Sessel erheben konnte. »Ist dir langweilig geworden?«
»Nein, gar nicht. Ich habe die ganze Zeit gelesen.«
Seite an Seite verließen sie das Krankenhaus und gingen im Schneckentempo einen kurzen Hang hinunter, bis sie einen gepflasterten Weg erreichten. Er führte zwischen ein paar Berberitzensträuchern hindurch auf den riesigen Parkplatz. Nachdem sie einige Reihen von Autos hinter sich gelassen hatten, blieben sie neben einem weißen Ford Mondeo stehen. Schwester Margit schloss den Wagen mit einem Druck auf die Fernbedienung auf und half Ingrid auf den Beifahrersitz.
»Jetzt hast du auch ein bisschen Bewegung gehabt, Ingrid. Es ist gut, wenn du das Gehen übst. Du kannst es als Krankengymnastik betrachten.«
Ingrid lächelte die freundliche Krankenschwester an, als sie sich neben ihr in den Fahrersitz sinken ließ. Sie konnte selbst kaum noch glauben, dass bei ihr zu Hause wirklich eine Leiche in der Küche lag. Hatte sie sich alles vielleicht nur eingebildet? Vielleicht hatten die Schmerztabletten Halluzinationen verursacht? Es kam ihr doch sehr unwahrscheinlich vor, dass gerade ihr Haus zum Schauplatz für einen Mord geworden sein sollte.
Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr knarrte es im Gebälk der Frauenzeitschriften-Idylle, die sie in der Aufnahmestation eingelullt hatte. Zu Hause in ihrer Küche lag eine Leiche. Punkt, aus. Was würde das für ihr zukünftiges Leben bedeuten? Ihr Haus würde vermutlich von Polizisten und Technikern heimgesucht werden, die es nach Fingerabdrücken und Spuren durchkämmen würden. Wer würde hinter ihnen sauber machen? Rund um das Haus Absperrbänder und gaffende Nachbarn. Vielleicht auch Journalisten. Polizeiverhöre.
Nein, es würde eine Weile dauern, bis das Leben wieder einigermaßen normal verlaufen würde. Wenn
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