Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
kein Monster vorbeikommen.«
»Mach nicht auf, wenn es klingelt. Ich fahre schnell was erledigen, und dann komme ich wieder.«
»Gut. Hier, nimm den Zweitschlüssel mit.« Paula sah nicht auf, als Katinka nach Jacke und Autoschlüssel griff und die Wohnung verließ.
Im Auto atmete Katinka befreit auf. Sie fuhr über die Landstraße nach Haßfurt und genoss den Blick auf den in der Sonne glitzernden Main. Die schmale Straße zwischen Fluss und Weinbergen schien ihr die schönste Zufahrt nach Schweinfurt. Es war so warm, dass sie Lust bekam, zu baden. Einem Wegweiser folgend bog sie nach Ottendorf ab, hielt beim Gasthof zur Linde und bestellte sich einen Salatteller und ein Glas Saft. Sie saß auf der Terrasse in der Sonne, bewunderte die über dreihundert Jahre alte Dorflinde und kam sich vor wie eine alleinstehende Pensionärin auf der Fahrt in den Urlaub.
Was sie eigentlich für Paula tun sollte, stand immer noch in den Sternen. Sicher, sie beschützen, aber wovor eigentlich? Vor ihrem lieblosen Umfeld? Auch wenn sie sich hatte scheiden lassen wollen–vor wenigen Tagen war ihr Mann ermordet worden, und so einen Schock steckte niemand einfach so weg. Doch bei allem Verständnis: Paulas impulsive Art war nichts, womit Katinka leicht zurecht kam.
Dann war da die Frage, wer Hagen ermordet hatte. Tötungsdelikte sind Beziehungstaten, Katinka rollte diesen Satz um seine eigene Achse und wiederholte ihn in ihrem Kopf wie ein Mantra. Paula schloss sie als Mörderin aus. Blieben: die Schwester, die Mutter. Oder Wertinger. Warum besuchte Karl Süßholz, angeblich der beste Kunde, Wertinger am Abend nach dem Mord in der Firma im Schweinfurter Hafen? Er fuhr eine Waffe in seinem Handschuhfach spazieren und bekam vom Buchhalter der Agentur CDs ausgehändigt. Eben dieser Buchhalter drängte Paula zum Abschluss eines Vertrages mit Süßholz. Katinka setzte ihre Sonnenbrille auf. Sie musste vom Anfang her denken. Wer kam an das Gift heran? Paula vielleicht. Wertinger bestimmt. Handelte die Agentur Stephanus mit Curare? Katinka hatte im Internet gelesen, dass Curare-Derivate in der Medizin noch eingesetzt wurden, aber sie hatte vergessen, wann und in welcher Dosierung. Soviel stand jedoch fest: Wenn es eingesetzt wurde, musste es gekauft und verkauft werden.
Ihr Salat kam. Katinka aß ein paar Blätter und legte die Gabel wieder weg. Alles auf dieser Welt war nur Einkauf und Verkauf. So deutlich wie jetzt hatte sie das noch nie gesehen. Sie lehnte sich zurück und sah in die Weinberge hinauf. Die Gesellschaft funktionierte, indem Dinge gekauft und verkauft wurden, und immer so weiter, ein unendliches Rotieren von Waren und Geldströmen. Was hatte Wertinger gesagt? Brasilien importierte fünfzig Prozent seines Bedarfs an Düngemitteln? So ein riesiges Land? Katinka fragte sich, weshalb ein brasilianischer Landwirt Dünger aus Bulgarien kaufte.
Sie aß ihren Salat und trank den eiskalten Saft. Volkswirtschaft war eine Welt, die sie nicht verstand, und sie hatte es bisher auch nicht ernsthaft versucht. Mit Mördern tat sie sich leichter. Sie stellte sich vor, wie jemand einen Curarepfeil abschoss. Man musste verdammt gut zielen können, um den Schenkel eines Menschen zu treffen, der kaum still stehen bleiben würde, um auf den Tod zu warten. Katinka schob den leeren Teller von sich, winkte der Bedienung und zahlte.
In der Polizeidirektion Haßfurt fragte sie nach Ruth Stein. Der Tapir kam binnen Minuten zum Eingang getrabt. Sie trug Jeans und ein Männerhemd drüber.
»Aha, Frau Palfy. Ein hübsches Domizil haben wir hier, nicht wahr?« Sie wies auf das flache Polizeigebäude und reichte Katinka ihre kompakte kleine Hand. Heute bändigte keine Baskenmütze das Wuschelhaar, es stand wirr um ihren Kopf. Sie wickelte einen Schokoriegel aus dem Glitzerpapier.
»Wie gut, dass Sie am Samstag arbeiten. Haben Sie ein bisschen Zeit für mich?«, fragte Katinka und schenkte ihr liebenswürdigstes Lächeln her.
»Es ist geschäftsschädigend, so zu tun, als hätte man Zeit«, bemerkte die Hauptkommissarin und biss in den Riegel. »Machen wir einen Spaziergang. Das Wetter ist wie Urlaub, und mein Büro geht nach Norden.«
Ruth Stein führte Katinka zum Main hinunter. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
»Wir haben noch nichts«, sagte die Stein schließlich. Sie pfefferte das Schokopapier in einen Mülleimer und leckte sich die Finger ab.
»Paula hat mich für ein paar Tage als Beschützerin engagiert«,
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