Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
packte Katinka aus. »Sie fühlt sich bedroht.«
»Und da tuckern Sie hier durch die Weltgeschichte?«
»Momentan ist sie in Sicherheit.«
Ruth Stein warf Katinka einen vernichtenden Blick zu. Katinka sagte nichts.
»Hagen Stephanus ist definitiv an Tubocurarin gestorben«, berichtete Ruth Stein. »Kommt dazu noch ein Sedativum, dann haben wir die klassische Narkoseeinleitung, sagt die Rechtsmedizinerin. Sein Todeskampf dauerte geschätzte dreißig Minuten. Todeszeitpunkt ist kurz nach drei in der Nacht, plus minus zehn Minuten. Er ist erstickt.«
»Warum zog er den Pfeil nicht raus?«
»Er schaffte es wohl nicht mehr. Die Dosierung war hoch, die Lähmung trat unmittelbar ein. Hätte ihm auch nichts gebracht, den Pfeil rauszuziehen. Das Gift war schon im Körper unterwegs. Die Substanz heißt Pancuronium und wird für Narkosen gebraucht, um die innere Muskulatur ruhigzustellen, damit sie sich nicht gegen die Aktivitäten des Chirurgen sperrt. Großer Hass könnte ein Motiv sein, und das passt zu einer Ehefrau.«
»Warum?«, fuhr Katinka auf.
»Sie haben noch keine Ehe durchgemacht, was?«, fragte die Stein zynisch.
»Nein.« Katinka schwieg einen Moment, um die heranbrummenden Gedanken abzuwehren. ›Ehe‹ war ein Wort, das ihr gerade nicht gut tat. »Paula hatte genug von Hagen. Aber sie hat ihn nicht gehasst. Nicht in einem Maß, dass sie ihn qualvoll ersticken lassen würde.«
»Wenn es nur darum geht, einen Menschen loszuwerden, weil er etwas weiß, das nicht ans Licht kommen soll oder weil er versucht hatte, jemanden zu erpressen–dann macht man das nicht mit Curare. Man erledigt ihn. Schluss.« Die Stein ruderte mit den Armen, als fiele es ihr schwer, das Gleichgewicht zu halten. »Wer kann einen Menschen so hassen, dass er ihn dermaßen brutal sterben lässt?«
»Das muss nicht allein die Ehefrau sein«, gab Katinka zu bedenken. »Es kann der Geliebte der Ehefrau sein, die Mutter des Opfers, die Junkie-Schwester…«
»Marie Stephanus hat nicht das Zeug dazu. Sie würde in ihrem üblichen Zustand nicht einmal eine Hauswand treffen.«
»Wer kam an Curare heran?«, fragte Katinka. Anscheinend hatte die Stein sich schon intensiv mit Paulas Schwägerin beschäftigt.
»Offiziell handelt die Agentur Stephanus nicht mit tropischen Pfeilgiften«, sagte Ruth Stein. »Aber Hagen Stephanus erstattete vor zwei Jahren eine Anzeige, dass in seine Firma eingebrochen worden sei. Kurz darauf zog er die Anzeige zurück. Es sei nichts weggekommen. Vielleicht habe jemand nur Bargeld gesucht. Sie hatten damals eine Kaffeekasse im Büro mit dreißig Euro drin. Die waren noch da.«
»Sie meinen«, begann Katinka und sah einem Frachtschiff nach, das sie gemächlich auf dem Wasser überholte, »dass in der Handelsagentur Stephanus Waren über den Tisch gehen, die es offiziell nicht gibt, auf die es aber wiederum der Einbrecher abgesehen hatte?«
Dieselschwaden trieben ans Ufer. Ruth Stein blieb stehen und musterte Katinka. Ihre türkisblauen Augen leuchteten grell.
»Es ist eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Waren werden falsch deklariert. Weißes Pulver ist Koks, nicht Backpulver, aber Backpulver steht drauf.«
»Und das funktioniert?«, fragte Katinka zweifelnd.
»Die Ware kommt vom Schiff zum Lagerhalter, geht weiter an die Importeure, deren Lkws werden beladen und gehen anschließend durch den Zoll. Der Zoll prüft die Papiere, macht ab und zu Stichproben. Wenn man Glück hat, donnert der Laster mit dem Koks an Bord ins Land.«
Katinka runzelte die Stirn.
»Das klingt mir zu simpel.«
»So einfach ist es auch nicht«, sagte Ruth Stein. »Der Zoll arbeitet effektiv. Schiffe aus bestimmten Häfen, zum Beispiel aus Asien, werden bei der Ankunft im Hamburger Hafen sofort von der Schwarzen Gang unter die Lupe genommen. Wenn es um Drogen geht, hat die Zollverwaltung ihre Informanten. Die Kollegen kennen ihre Pappenheimer. Die Schlupflöcher sind winzig. Aber es gibt sie. Lkws zum Beispiel können umgeladen werden. Sie sollten aber bedenken«, sie holte tief Atem, »dass Ein- und Ausfuhr teuer ist. Es kommt Einfuhrumsatzsteuer hinzu, Zoll, alles wird fällig, sobald die Ware im Land ist. Der Importeur tritt also erst mal in Vorleistung. Dazu muss man flüssig sein.«
Kann sich Hagens Klitsche gar nicht leisten, dachte Katinka und rief sich den rissigen Fensterkitt ins Gedächtnis.
»Hat Hagen Stephanus zur Zeit dieses Einbruchs mit Curare gehandelt?«
»Das haben meine Leute schon geprüft. Um Gifte zu
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