Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
selber die Entscheidung treffen muss, ob sie leben oder krepieren will. Bernhild glaubt immer noch, dass es ausreicht, wenn jemand ihrer Tochter so richtig den Kopf wäscht. Als ob dadurch alles gut würde. Fast schob Bernhild es auf Hagen, dass Marie so durchhing.«
»Was hat Bernhild denn selbst für ihre Tochter unternommen?«, fragte Katinka.
»Bernhild hat eine Zoohandlung geführt, habe ich dir das nicht erzählt? Sie ist wirklich begütert, und sie hätte Marie all die privaten Kliniken bezahlen können. Aber sie hatte den Drang, Hagen in die Pflicht zu nehmen. Mich natürlich auch, aber ich habe in der Familie ohnehin immer gestört. Grauenvoll, all die Weihnachtsfeste, die ich ausgestanden habe. Ich saß dabei wie ein Haustier. Bernhild hat nie das Wort an mich gerichtet, nur an Hagen und Marie, und wenn ich mich erdreistete, etwas zu sagen, hörte sie demonstrativ nicht hin. Als Unternehmerin wusste Bernhild natürlich, wie hart das Geschäftsleben sein kann, dass man bis nachts arbeitet, bis zum Letzten kämpft, um einen Auftrag zu kriegen. Ich sage dir: Es ist eine Illusion zu glauben, dass Marie von den Drogen runterkommt. Marie will selbst nicht. Sie kann auch nicht. Obwohl sie bestimmt vom Gegenteil überzeugt ist.«
Sie fuhren schweigend durch die Hügel. Endlich tauchte Ebrach vor ihnen auf.
»Ein gruseliger Ort, oder?«, fragte Paula. »Mit Knast in einem Ex-Kloster.«
Katinka stimmte dem nicht zu, sagte aber nichts.
»Sag mal«, begann sie, bog schwungvoll in eine Parklücke und drehte sich zu Paula. »Wie ist das mit Bernhild? Könnte sie Hagen umgebracht haben?«
Paula machte große Augen.
»Bernhild? Warum?«
»Darauf will ich hinaus. Es gibt kein richtiges Motiv in dem ganzen Fall«, sagte Katinka.
»Die Familie Stephanus ist eine Ruine«, erklärte Paula.
»Das meine ich nicht. Brüche gibt es in jeder Familie, und da sind überall Verwandte, die du an die nächstbeste Schwefelmine verkaufen möchtest. Nein, ich meine etwas anderes: Um so einen Mord zu begehen, braucht jemand eine gehörige Portion Hass im Bauch. Auf wen trifft das zu? Auf Bernhild vielleicht?«
Katinka glaubte selbst nicht an Bernhild als Täterin. Sie hatte lediglich das Gefühl, auf der Stelle zu treten, nichts zu durchschauen, ihre Zeit zu verschwenden. Sie drückte auf eine Taste hinter der Handbremse. Langsam klappte das Verdeck vor. Im Auto wurde es dunkel.
»Quatsch. Hagen war Bernhilds Augenstern. Den würde sie niemals umbringen. Allerdings…«
»Allerdings was?«
»Vielleicht würde sie es tun, wenn sie den Mord jemand anderem in die Schuhe schieben könnte. Aber weißt du«, Paula machte eine Pause, »sie hat Hagen nicht gehasst. Sie hat ihn auf eine besitzergreifende Weise geliebt und bevormundet, sie hat versucht, ihn zu lenken und Entscheidungen für ihn zu treffen. Wenn sie jemanden hasst, dann mich.«
Paula öffnete die Tür und stieg aus. Katinka kam nach.
»Ja«, sagte Paula mit einem Blick zum stahlblauen Himmel, »mich hasst sie. Von ganzem Herzen. Wenn es nicht mit unangenehmen Folgen für sie selbst verbunden wäre, hätte sie mich längst liquidiert.«
Der Pfarrer empfing Paula mit Leichenbittermiene und sprach ihr im besten Kleriker-Sonntagstimbre sein Beileid aus. Katinka blieb vor seinem Büro auf dem Flur stehen. Sie hatte kein Interesse an dem Gespräch der beiden über die bevorstehende Beerdigung. Das Thema deprimierte sie, und sie brauchte einen klaren Kopf, um sich zu überlegen, wie sie weiter vorgehen könnten.
Sie rief Cuno an. Er ging sofort an sein Handy.
»Hast du schon was rausgefunden?«, fragte Katinka.
»Schicke Geschichte hier«, antwortete Cuno. »Das ist wirklich eine hübsch frisierte Buchhaltung.«
»Was heißt das?«
»Paula hat richtig vermutet. Die eine ist die offizielle, die andere die interne. In Gänsefüßchen.«
»Wozu wird eine interne Buchhaltung digital festgehalten?«
»Klar wäre es geschickter, ein paar Bleistiftstriche auf einem Zettel zu machen. Aber leider hat kein Mensch ein so perfektes Gedächtnis, dass er sich merken könnte, was eingeht und was ausgeht.«
»O.k.«, sagte Katinka. »Nicht am Telefon. Hast du noch Kapazitäten frei?«
»Aber sicher doch.«
»Fühl mal einer gewissen Bernhild Stephanus auf den Zahn. Sie ist Hagens Mutter. Mich hat sie leider schon kennengelernt.«
»Super. Ich liebe ältere Damen.«
»Sie hat einen Biberpelz auf den Zähnen.«
»Himmlisch.« Cuno machte ein Geräusch, als freue er sich auf
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