Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
Grimasse.
»Machen wir uns an die Arbeit«, sagte Katinka. »Cuno, du checkst die Buchhaltungsfiles.«
»Ay, Käptn«, erwiderte Cuno und legte die Hand an die Indianerfeder. »Wo ist der Computer?«
Er richtete sich mit Kaffeekanne und Brötchenteller am Schreibtisch ein.
»Was hast du denn da für eine Pflaume angeschleppt«, beschwerte sich Paula, als sie die Tür zum Arbeitszimmer hinter sich zugezogen hatte.
»Er spinnt, aber in Sachen Buchhaltung ist er gut. Schmeiß Wertinger raus und gib Cuno den Job.«
»Dann wäre ich aber selten blöd.« Paula verschwand im Wohnzimmer, wo Katinka sie telefonieren hörte. Sie selbst rief Ruth Stein an.
»Sie nerven«, sagte der Tapir.
»Ich weiß. Hat Süßholz nun eine Waffenbesitzkarte oder nicht?«
»Er hat überhaupt nichts mit Waffen zu tun.«
»Er führt aber eine Pistole mit sich. In seinem Auto. Denken Sie dran, dass Sie den Tipp von mir haben, wenn ich Sie mal wieder anrufe und nerve?«, fragte Katinka.
Ruth Stein lachte auf. »Rotzfrech, aber irgendwie muss man Sie mögen«, sagte sie und legte auf.
»Hagen war katholisch«, sagte Paula. »Nicht unbedingt religiös, aber an Weihnachten und Ostern war es ihm wichtig, in die Kirche zu gehen. Manchmal auch im Urlaub, wenn wir gerade Zeit hatten.«
Sie saßen in Katinkas Wagen und fuhren nach Ebrach zu dem Pfarrer, der die Beerdigung halten sollte.
»Sag mal, wie kommt es eigentlich, dass ihr den Bogenschießkurs zusammen gemacht habt?«, fragte Katinka.
»Hagen hat es vorgeschlagen. Ich wollte gern mit. Auszeiten tun allen gut. Ich hatte ohnehin nichts Besseres zu tun.«
Katinka dachte an das, was Wertinger ihr über Paulas Arbeit in der Firma gesagt hatte.
»Konntet ihr denn einfach so weg? Trotz der Arbeit?«
»Hagen ging es nicht gut«, sagte Paula. »Bieg hier rechts ab.«
»Was meinst du damit?«
»Die letzten Nächte vor seinem Tod hat er sich in seinem Bett herumgewälzt. Hat manchmal im Schlaf gerufen. Nach Marie, seiner Schwester.«
Katinka zog die Augenbrauen hoch.
»Nach seiner Schwester?«
»Sie hat ihm immer nur Kummer gemacht. Dann das Getöse von seiner Mutter, er sollte sich mehr um Marie kümmern, und ich sollte das natürlich auch. Marie ist ein Wrack. Egal, wie sehr du dich um einen Junkie bemühst: du holst ihn nie aus dem Dreck. Marie ist ein paar Tage hell im Kopf, dann stürzt sie in einen Eimer mit Tabletten und landet in der Gosse. Die Bullen haben sie schon an wer weiß welchen Orten aufgelesen. Es ist immer das gleiche: In die Klinik, Magen auspumpen, Entgiftung. Nach einer Woche schicken sie sie nach Hause, und ein paar Tage später geht das Spiel von vorne los.«
»Hast du mit Hagen über seine Alpträume geredet?«
»Er wollte nicht darüber sprechen«, antwortete Paula finster.
»Warum ist Marie denn so abgestürzt?«, fragte Katinka und kramte ihre Sonnenbrille aus dem Handschuhfach. Die Sonne hatte den Dunst aufgesogen, und nun lag der Himmel so blau vor ihnen, dass er die Augen blendete. Katinka hielt und öffnete das Verdeck.
»Ich weiß es nicht genau. Schulprobleme hatte sie keine, sie hatte gute Noten. Aber mit sechzehn kam sie das erste Mal zugedröhnt nach Hause. Bernhild kriegte einen Anfall. Als ihre Noten schlechter wurden, schickte sie Marie auf ein Internat, aber da fiel sie in Ungnade, weil sie sich nicht an das Alkoholverbot hielt.« Paula lehnte sich hinaus. Der Fahrtwind ließ ihre Locken flattern. »Marie schaffte trotzdem ihr Abi, die letzten zwei Schuljahre war sie clean. Im Studium ging es dann wieder los mit den Drogen. Bernhild hält es nicht aus, keinen Einfluss auf andere zu haben. Auf Marie hat sie jedenfalls keinen. Marie lachte sich einen Zahnarzt als Liebhaber an. Der verschrieb ihr die Amphetamine und was sie sonst noch konsumiert. Die Beziehung zerbrach nach einem halben Jahr. Marie war schwanger, aber im dritten Monat verlor sie das Kind. Es wäre wahrscheinlich als Junkie auf die Welt gekommen.«
Katinka ließ einen Wagen überholen. Lebensgeschichten dieser Art bekam sie so oft erzählt. Hardo hatte ihr vor kurzem erst erklärt, dass bei den meisten Verbrechen Drogen eine Rolle spielten. Katinka nahm sich vor, mit Marie zu sprechen.
»Hagen war irgendwie immer in der Zwickmühle. Bernhild setzte ihn unter Druck, mehr für Marie zu tun. Er hätte Landstriche in Schutt und Asche legen können für seine Schwester–Muttern wäre es nie genug gewesen. Sie kapiert nicht, dass ein Junkie nicht zu retten ist. Dass Marie
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