Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
deinen Bus und fahr nach Hause. Ist mir auch egal.«
Sie schnappte sich ihre Tasche und ging.
15. Phyllobates terribilis
In Schonungen stoppte Katinka an der Tankstelle. Während sie den Zahlen auf der Zapfsäule beim Vorbeirattern zusah, hielt ein silberner Sportwagen auf der anderen Straßenseite. Katinka sah einen Mann mit Strubbelhaar und Brille. Das ist doch Norbert, dachte sie, der Kiebitz vom Bogenschießkurs. Aber der Wagen fuhr an und war verschwunden. Nachdenklich bezahlte sie und machte sich wieder auf den Weg.
Sie achtete kaum auf die Hügel, die vor einem dramatischen Himmel in Rotorange immer dunkler wurden, als gösse jemand Tinte über sie aus. Ziellos wählte sie schmale, abgelegene Landstraßen. Ab und zu kreuzte sie den Main. Sie suchte einen befahrbaren Feldweg und rollte bis zum Ufer. Stieg aus. Im Westen spiegelte der Fluss den Sonnenuntergang. In den sanften Wellen kräuselten sich die Farben. Feuer und Wasser, dachte Katinka. Es wäre die Stimmung für romantische Gespräche. Sie wählte Toms Nummer. Sein Handy war ausgeschaltet. Zu Hause ging er nicht dran.
Woher Paula nur die Schlaftabletten hat, fragte sich Katinka. Sie nahm ihr Handy und ließ sich über den Operator die Nummer von Michael Henz in Schweinfurt geben. Er antwortete sofort.
»Henz?«
»Katinka Palfy, Privatdetektivin. Es geht um Paula.«
Sie ärgerte sich, das Gespräch so spontan angefangen zu haben. Sollte sie ihm von Paulas Suizidversuch berichten? Dann wäre er zu keiner vernünftigen Information mehr zu gebrauchen. Es war nicht fair, aber besser, sie ließ ihn im Unklaren.
»Ach, Sie sind das«, sagte er nur. Katinka konnte hören, dass er sich eine Zigarette anzündete. »Ich habe Hagen nicht umgebracht. Dass das mal klar ist. Obwohl mir hier ständig die Polizei auf die Pelle rückt.«
»Das weiß ich schon. Ich würde mich lieber mit Ihnen über Paulas und Hagens Ehe unterhalten.«
»Ausgerechnet mit mir?«
»Paula wollte sich doch scheiden lassen«, sagte Katinka. »War das Ihretwegen?«
Henz blies den Rauch so laut ins Telefon, dass Katinka ihn zu riechen meinte.
»Es war ganz bestimmt nicht meinetwegen.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. »Sie hat es mit Hagen nicht mehr ausgehalten. Sie fühlte sich bei ihm nicht aufgehoben. Er liebte sie nicht genug.«
Katinka seufzte. Wie viel lieben ist genug lieben, dachte sie.
»Hatte Hagen eine Geliebte?«
»Wieso fragen Sie mich das?«
»Wir unterhalten uns eben gerade so traut«, entgegnete Katinka. Ihre Geduld lief auf der Auslaufrille. Sie war genervt, wenngleich ihr bewusst war, dass Henz jederzeit die Lust verlieren konnte, mit ihr zu plauschen.
»Soweit ich weiß, hatte er keine. Er war nett zu Paula.«
Nett, dachte Katinka. Wie nett!
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, fuhr Henz fort. »Er hat sie nicht geschlagen, er war immer korrekt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er fremdgegangen wäre. Hagen war ein hochanständiger Mensch.«
Das war also die Mindestanforderung an die Ehe. Dass frau nicht geschlagen und korrekt behandelt wurde.
»Wie kommen Sie dann ins Spiel?«
»Paula macht doch diese Märchenbücher«, sagte Henz. »Sie schreibt die Geschichten, liest sie selbst vor und stellt die Podcasts ins Internet. Bislang verdient sie damit kaum Geld, aber sie hatte vor, einige Geschichten als gedruckte Bücher herauszugeben, und dazu brauchte sie Illustrationen. Deswegen hat sie mich angesprochen.«
Katinka hörte, wie ein Feuerzeug klickte.
»Ich bin Kunsterzieher in einem Gymnasium. Ich mag meinen Job, aber ein wenig Abwechslung und anspruchsvollere Aufgaben wären von Zeit zu Zeit auch nicht schlecht. Die Schüler sehen Kunst als eine Art Pause von den ›richtigen‹ Fächern wie Mathe oder Deutsch. Für die ist das nicht einmal ein Fach.« Er schnaubte.
»Woher kennen Sie Paula denn?«
Er lachte laut. Katinka hielt das Telefon ein Stück von ihrem Ohr weg.
»Wir haben zusammen Abi gemacht. Kennen uns schon ewig, seit der fünften Klasse Gymnasium.«
Bums, dachte Katinka. Darauf wäre ich nicht gekommen.
»Ich mochte Paula immer gern, und wir sind in der Oberstufe eine Weile miteinander gegangen. Aber wenn sie etwas besitzt, dann bedeutet es ihr nichts mehr. Das hingegen, was sie nicht hat, das ersehnt sie mit aller Kraft. In der zwölften Klasse stand ich zunächst nicht so auf Paula. Sie war recht schüchtern und zurückhaltend, fast unscheinbar. Hübsch war sie schon immer, aber sie machte damals nichts aus ihrem
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