Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
darauf ankommen, durch den Garten zu rennen, bevor Wertinger Zeit hatte, aus dem Fenster zu schauen. Sie huschte hinaus, zog die Tür zu, jagte über den Rasen, zwängte sich durch die Hecke und rannte die Straße hinunter in Richtung Klinik.
Als sie in der Neutorstraße ankam, war der Ambulanzwagen schon weg. Cuno stand mit hängenden Schultern in der Haustür. Sie lief auf ihn zu und packte ihn am Jackenkragen.
»Was ist da los?«
»Lass mich!«, wehrte er sich wütend. »Ich habe ihr die Pillen nicht eingeflößt.«
»Was haben sie gesagt? Kommt sie durch?«
»Sie wissen es nicht.«
Er zündete sich eine Zigarette an und hielt Katinka die Schachtel hin. Ohne nachzudenken zog sie sich eine heraus. Er gab ihr Feuer.
»Ihr Vater rief an. Er wolle Paula unbedingt sprechen. Ich sagte ihm, dass sie schläft, aber er bat mich, sie zu wecken. Ich klopfte vorsichtig an die Schlafzimmertür, und als sich nichts rührte, schaute ich hinein. Das kannst du mir schon glauben!« Er inhalierte tief. Eine Rauchsäule stieg steil in den blauen Oktoberhimmel. »Zuerst fiel mir die Pillenschachtel gar nicht auf, aber dann kriegte ich echt eine Panikattacke.«
Katinka rauchte schweigend. Panikattacke, ausgerechnet Cuno.
»Ich habe sofort 110 gewählt. Und dann dich angerufen. Paula lag völlig leblos da. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie noch atmete.«
Katinka warf die Zigarette weg. Sie würde nie klüger. Die Kippe versprach Entspannung und schmeckte doch nur ekelhaft.
»Ich habe Mist gebaut«, sagte sie.
Cuno guckte sie verwundert an.
»Wieso du? Was hast du damit zu tun, wenn sie sich umbringen will?«
Katinka winkte ab und ging hinauf in die Wohnung. Sie stand neben Paulas zerwühltem Bett. Ich sollte sie beschützen, dachte sie. Aber alles, worum ich mich gekümmert habe, war Hagens Firma. Cuno kam ihr nach.
»Mach dir doch keine Vorwürfe«, sagte er und legte den Arm um ihre Schultern.
Sie schüttelte ihn ärgerlich ab.
»Kapierst du das nicht?«, schnauzte sie ihn an. »Ich hätte sie nach Bamberg holen sollen. Raus aus dem ganzen Schwachsinn hier. Hätte die Polizei Hagens Geschäft hopsnehmen lassen sollen. Und die Sache gestern Nacht. Es war so eine beschissene Idee, Wertinger nachzufahren.«
»Wenn wir es nicht gemacht hätten, wüssten wir kaum von den Buchhaltungen in den vergangenen zwei Jahren.«
»Vergiss es, Cuno.«
»Ist aber wahr.« Er steckte sich schon wieder eine Zigarette an. »Trink einen Kaffee, Palfy, dann geht’s dir besser.«
»Wir hätten Paula nicht allein im Auto sitzen lassen sollen. Wieso hast du auch deinen Schlüssel stecken lassen?« Katinka spielte mit einem Blisterstreifen. Diazepam, entzifferte sie die zerfetzten Buchstaben. Die Schachtel hatten die Sanitäter mitgenommen, aber es lagen fünf Blisterstreifen da. Fünfzig Tabletten, dachte sie. O Gott.
»Bleib auf dem Boden«, sagte Cuno und kippte das Fenster. »Du weißt, dass niemand daran Schuld trägt. Die Dinge haben sich einfach ergeben. Wie hast du dir das denn vorgestellt, wolltest du tagelang hier mit Paula sitzen und ihr das Händchen halten? Außerdem hat sie selber den Auftrag abgewandelt. Du solltest Hagens Mörder suchen. Ich bin Zeuge.«
»Sie wusste ja nicht, was sie da sagte.«
Cuno streifte die Asche durch das gekippte Fenster hindurch ab.
»Nee. Wusste sie nicht. Das ist es nämlich. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass Paula extrem unstet ist? Sie sagt jetzt hü, und nachher hott. Kommt vielleicht von dem Schock, was weiß ich. Oder sie ist einfach manisch oder paranoid oder so.«
Das Gespräch führte zu nichts. Katinka ging ins Gästezimmer hinüber und pfefferte ihre Sachen in die Reisetasche.
»Was hast du vor?«
»Das bringt doch alles nichts. Wertingers Kontobewegungen sind auch nicht gerade erhellend. Keine Abbuchungen, die als private Einlagen auf das Firmenkonto infrage kämen. Sonderbar finde ich bloß, dass er seine Geschäftsreisen offenbar aus seinem eigenen Geldbeutel zahlte.« Katinka drückte ihm ihre Digitalkamera in die Hand. »Zieh dir das runter und schau die Auszüge durch.«
»Also gibst du noch nicht auf?«
Katinka schleuderte ihren Schlafanzug in die Tasche und barg ihr Gesicht in beiden Händen.
»Ich muss hier raus«, sagte sie. »Sei so nett und informiere Paulas Vater, ja?«
»Sag mal, tickst du noch im Rhythmus?«, fragte Cuno. »Fährst du in Urlaub, und ich darf hier Aushilfsermittler spielen?«
»Von mir aus mach’s nicht. Pflanz deinen Hintern in
Weitere Kostenlose Bücher