Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
sich Hilfe suchten, das hatte sie in ihren Jahren als Ermittlerin immer wieder festgestellt. Wurden dann bei der Polizei und vor Gericht dafür getadelt. Katinka verstand dieses Zögern jetzt. Allerdings musste sie Cuno anrufen. Rein geschäftlich natürlich.
Er ging sofort an sein Handy.
»Was Neues?«, fragte Katinka.
»Ich stehe hier in der Klinik neben unseren Freunden Gerfried Jäger und Michael Henz«, meldete Cuno. »Du hast was verpasst. Ein experimenteller Regisseur könnte es nicht besser inszenieren.«
»Wie geht’s Paula?«
»Es steht noch auf der Kippe. Sie hängt an zwanzig Schläuchen und muss beatmet werden.«
Katinka legte auf. An Montagabenden schien die Sandstraße merkwürdig still, nach all dem Rambazamba des Wochenendes, wo jugendliche Cliquen irgendwo zwischen Heiterkeit und Alkoholkoma durch die enge Straße trieben. Eine Kneipe lag neben der anderen. Sie könnte sich durchtrinken. Hatte sie noch nie gemacht. Aber sie könnte es tun.
Sie probierte Toms Handynummer. Der gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar . Sie wählte die Festnetznummer. Natürlich ging niemand an den Apparat. Natürlich war das alles umsonst, sie wusste es, und sie konnte es dennoch nicht lassen.
Sie lief zum Leinritt hinunter und starrte über das dunkle Wasser zu den bunten Fischerhäusern von Klein-Venedig. Lehnte sich mit dem Rücken an die Knastwand. Das beschaulichste Kittchen der Welt, dachte sie. Jedenfalls sehen die Spaziergänger das so. Katinka spähte in die beleuchteten Wohnzimmer hinüber. Der Fluss vor ihr rauschte. Er hat doch eine andere, dachte sie. Sie hatte Tom im Winter in Verdacht gehabt. Aber er hatte es abgestritten, und sie hatte ihm geglaubt. Über den Sommer war ihr nichts aufgefallen. Zwar war sie oft unterwegs, aber sie hätte bemerkt, wenn er eine Affäre gehabt hätte. Hätte ich?, fragte sie sich stumm. Hätte ich das bemerkt? Hatte Hagen bemerkt, dass Paula ein Auge auf Michael Henz geworfen hatte? Paula, die nur liebte, was sie nicht hatte, und das Interesse an dem verlor, was sie besaß?
Vielleicht bin ich genauso, dachte Katinka. Sie kletterte die Böschung zum Flussufer hinunter und stakte durch den morastigen Boden. Es wäre schön, jetzt in einem Boot den Fluss hinunterzutreiben, einfach so, ohne Ziel. Sie hockte sich auf ein Stück Treibholz. Schnell wurde ihr kalt. Sie hatte sich immer noch keine wärmere Jacke aus dem Schrank geholt. Immerhin roch die Cordjacke, die sie trug, nach Tom, aber mit einem Mal war ihr das unangenehm. Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr. Selbst nach so vielen Jahren in der Stadt konnte Katinka den Klang der Glocken nicht unterscheiden. Tom gelang das mühelos. Verflucht. Tom.
Jemand kam hinter ihr den Leinritt entlang. Sie drehte sich um. Ein Typ rutschte die Böschung hinunter und ging auf sie zu.
»Schöner Abend, was?«, sagte der Mann. Er trug Turnschuhe und enge Hosen aus Leder.
»Finde ich nicht«, sagte Katinka, stand auf und ging.
Cuno rief kurz vor elf Uhr an. Katinka saß auf einer Bank auf den Michaelsberger Terrassen. Es war sehr dunkel und sehr still hier oben. Der Blick über die bunten Lichter der Stadt und die Hügel jenseits des Lichtermeeres im Osten wirkte beruhigend auf ihre aufgewühlten Gedanken.
»Bist du schon zu besoffen, um dir Neuigkeiten anzuhören?«, wollte Cuno wissen.
»Ich bin leer wir Altglas.«
»Paulas Zustand hat sich leicht gebessert. Noch ist aber nichts sicher. Die Ärzte wollen die Nacht abwarten.«
»Wo bist du jetzt?«
»Wollte ich gerade erzählen: Ich habe mich mit Wertinger getroffen.«
»Schieß los.«
»Gut, dass es den alten Cuno gibt, den norddeutschen Schnösel, wie?«, sagte er. »Wertinger hatte plötzlich das Bedürfnis, reinen Tisch zu machen. Dem kocht die Schwarte, und die Stein ist ihm auch ziemlich auf den Pelz gerückt. Hör zu: Wertinger hat schon mal im Bau gesessen.«
»Wie schön, ihr konntet euch von gleich zu gleich unterhalten.«
»Spottdrossel. Er hatte eine Import-Export-Firma in Landshut und ging pleite. Wegen Insolvenzverschleppung und einiger anderer Kleinigkeiten hat er drei Jahre abgesessen, stell dir das vor!«
»Kleinigkeiten? Körperverletzung vielleicht?«
Cuno kicherte.
»Hast halt doch hellseherische Fähigkeiten, kleine Palfy. Er hat einen Gläubiger zusammengeschlagen, der ihm auf die Füße gestiegen ist.«
»Hübsches Register«, sagte Katinka. »Ruth Stein wird sich freuen.«
»Aber als Hagens Mörder kommt er nicht in
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