Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
dem Beetle und folgte Georg Süßholz. Im Dunkel des Herbstabends war er kaum noch zu erkennen. Dennoch tat sie sich leicht, ihm nachzugehen. Er bewegte sich in seinem eigenartig steifen Gang geradeaus und schaute weder nach rechts noch nach links. Schließlich trat er von dem asphaltierten Sträßchen in den Wald. Katinka zögerte kurz, vergewisserte sich, dass sich ihre Waffe an Ort und Stelle befand, und tappte ihm nach. Sie ließ großen Abstand. Zweige knackten unter ihren Füßen. Auch Georgs Schritte raschelten im Laub. Zuerst sah sie kaum die Hand vor Augen, aber bald gewöhnte sie sich an die Dunkelheit. Georg Süßholz schien kein Problem damit zu haben, sich im Finstern fortzubewegen, ohne gegen Bäume zu stoßen oder in Traktorfurchen umzuknicken. Nach einer Weile schaltete er eine Taschenlampe an. Er stand vor einer Scheune, mitten im Wald. Machte sich an einem Vorhängeschloss zu schaffen und schob das Tor auf. Katinka tastete sich langsam vor. Drinnen in der Scheune irrte der Lichtkegel über die Wände. Sie musste herausfinden, was er hier tat. Warum fuhr Karl Süßholz’ Bruder am Abend in diese Einöde? Bestimmt nicht, um eine Grillparty vorzubereiten. Behutsam setzte Katinka Fuß vor Fuß, bis sie direkt am Tor stand und hineinlugte.
Im Bruchteil einer einzigen Sekunde verstand sie. Die losen Enden all ihrer Ermittlungsfäden wirbelten durch die Luft und verknoteten sich hier, im Wald, in einer aufgeräumten, gut hergerichteten Scheune. Womöglich hatte auch Hagen hier gestanden und einen Blick ins Innere von Georgs Höhle gewagt. Und hatte es mit dem Leben bezahlt. Katinka wich zurück und stieß gegen eine Schubkarre. Es dröhnte wie Donner, als sie umstürzte. Georg rumorte in seinem Unterschlupf. Plötzlich brandeten die abendlichen Geräusche aus dem Wald laut gegen Katinkas Ohren. Sie drehte sich um und tauchte in die Dunkelheit.
Schnell. Nicht so keuchen. Du hörst nur deinen eigenen Atem.
Er folgte ihr. Sie hörte jemanden schnaufen. Hektisch und aufgeregt. Jemand, der schneller war als sie. Sie rannte, strauchelte über Wurzeln, stieß sich an Bäumen, riss sich die verletzte Hand an borkiger Rinde auf. Vor Schmerz wurde ihr übel. Lichtpünktchen blitzten vor ihren Augen auf. Sie griff zum Holster. Eine Hand hielt ihre Schulter. Katinka fuhr herum. Georg Süßholz starres Gesicht war direkt vor ihrem. Er nahm sie in den Schwitzkasten. Sie war gelähmt vor Angst. Stocksteif, taub, wie versteinert. In Lichtgeschwindigkeit zogen die Bilder von Hagen vorbei. Sein entsetzter Gesichtsausdruck, die Qual in dem toten Gesicht. Der Pfeil in seinem Oberschenkel. Er bringt mich um, dachte Katinka.
Ihr wurde schwarz vor Augen.
Der Kofferraum eines Polos war keine komfortable Reisemöglichkeit. Als Katinka zu sich kam, spürte sie für einige Minuten nichts als Schmerzen am ganzen Körper. Sie lag gefesselt im Dunkeln, in Embryohaltung, es stank nach Benzin. Dicht neben sich hörte sie Flüssigkeit schwappen. Allmählich kroch die Erinnerung aus der Finsternis. Die Scheune. Die sauber aufgereihten Benzinkanister, die sie im Schein von Georgs Taschenlampe hatte erkennen können.
Es stand ihr so klar vor Augen: Hier gab es drei Fälle, die ursächlich nichts miteinander zu tun hatten und nur durch dumme Zufälle und Hagens unfreiwilligen Beitrag zu einem verschmolzen waren. Katinka wurde kalt. Ihre Muskeln zitterten im Krampf. Ihr Atem kam rasend schnell. Nicht in Ohnmacht fallen, dachte sie. Bitte nicht. Ich will hier raus!
Sie konnte nicht schreien. Ihr Mund war mit Kreppband verklebt. Sie bewegte die Lippen, um es abzustreifen, aber unmöglich: Sie würde sich eher das Gesicht häuten, als das Klebeband abzukriegen. Angst zu ersticken. Beruhige dich, befahl sie sich, aber wie sollte man sich beruhigen, gefesselt im Kofferraum eines unsanft chauffierten, stinkenden Kleinwagens?
Den Atem normalisieren, dachte sie und probierte es mit langen Atemzügen. Es klappte nicht. Der Polo ratterte über einen unebenen Weg. Katinka stöhnte vor Schmerz. Es gab keine Stelle an ihrem Körper, die ihr nicht wehgetan hätte. Nachdenken! Zuerst die Benzinkanister. Georg Süßholz ist der Feuerteufel. Wahrscheinlich versucht Karl, ihn zu schützen. Oder er weiß gar nicht, dass sein Bruder zündelt. Der Wagen schwankte, wurde langsamer und nahm eine langgezogene Kurve. Ein Benzinkanister rutschte auf Katinkas Bauch. Georg ein Brandstifter. Katinka kämpfte wie irr gegen die Fesseln, aber die Stricke ließen
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