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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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Fenster, und die Sonnenglut war erfüllt von flimmernden Staubteilchen. Plötzlich lichtete sich das Ried. Karin sah eine Reihe hoher Schirmpinien, deren breite Kronen in der Luft wie riesige, dunkle Kissen leicht hin und her schaukelten. Das Haus unter den Bäumen war groß. Es war dem Süden zugekehrt, um sich vor dem Mistral, dem heftigen Wind aus dem Rhonetal, zu schützen. Die schweren, weißgetünchten Mauern trugen ein niedriges, braunrotes Ziegeldach. Der Bau war so zweckmäßig und schlicht, daß man ihn aus der Ferne für eine Scheune halten konnte. Erst beim Näherfahren sah Karin die geöffnete Tür, die freundlichen, grüngestrichenen Fensterläden. Blumenkästen und zwei breite Steinbänke standen an der Mauer. Frau Colomb fuhr den Wagen unter ein Schutzdach aus Binsen, wo schon ein staubiger Landrover geparkt war. Während Mireille und Karin das Gepäck aus dem Kofferraum holten, kam eine Frau aus dem Hause, die sich die Hände an ihrer Schürze abtrocknete. Sie war großgewachsen und hielt sich sehr gerade. Ein freundliches Lächeln erhellte ihr knochiges, sonnengebräuntes Gesicht.
    »Das ist Regine«, erklärte Frau Colomb. »Ihr Mann, Constantin, ist der >Baile<, der Oberaufseher der Herden.«
    »Reitet er >Glanzstern    »Lieber Jesus, er wird sich hüten!« stieß sie hervor.
    »Jedenfalls ist er nicht so verrückt wie mein Bruder«, meinte Mireille. »Aber wo ist Tante Justine?«
    »In ihrem Arbeitszimmer«, antwortete Regine. »Sie sitzt über den Abrechnungen. Genau gesagt, über der Steuererklärung«, fügte sie hinzu.
    »Mir scheint, wir haben einen schlechten Augenblick gewählt«, meinte Frau Colomb.
    »Ich glaube, sie hat bei dem Wind das Auto nicht gehört«, sagte Regine. »Kommen Sie herein, ich hole sie.«
    Karin hätte nicht gedacht, daß es im Innern des Hauses so kühl wäre; es kam ihr vor, als beträte sie einen kühlen Keller. Am Ende eines schmalen Flurs führte eine Treppe zum Obergeschoß. Es gab keine Diele, sondern man gelangte sofort in den Hauptraum, der gleichzeitig als Wohnzimmer und als Eßzimmer diente. Der Fliesenboden glänzte. Die weißgetünchten Wände ruhten auf dicken Balken. Auf dem Sims des mächtigen Kamins umrahmten zwei große Kupferleuchter eine Anzahl Steingutvasen, die mit frischen Blumen gefüllt waren. Zwei unbequem aussehende Lehnstühle standen zu beiden Seiten des Kamins. Im Raum befanden sich außerdem eine hohe Standuhr mit glänzendem Pendel, ein riesiger Geschirrschrank und ein langer Tisch, der mit einer bunten Wachstuchdecke überzogen war. Oben knallte eine Tür ins Schloß, schwere Schritte polterten die Treppe hinunter. Die Frau, die jetzt hereinkam, mochte um die Fünfzig sein. Sie war breit, stämmig und kräftig, trug Jeans und ein kariertes Hemd, dessen aufgekrempelte Ärmel harte braungebrannte Arme sichtbar werden ließen. Sie hatte struppiges, kurzgeschnittenes graues Haar, scharfe Falten an den Mundwinkeln, buschige Brauen und lebhafte, kluge Augen.
    »Herzlich willkommen!« rief sie mit dröhnender Stimme. Sie umarmte Frau Colomb, drückte Mireille einen Kuß auf beide Wangen und wandte sich dann mit ausgestreckter Hand Karin zu, deren Finger in der mächtigen Pranke verschwanden.
    »Das ist also die kleine Schweizerin!« Sie drückte Karins Hand, daß diese fast aufheulte. »Ich kenne die Gegend gut. Zürich ist eine hübsche Stadt, aber zuviel Menschen und nicht genug Platz. Und dann die Berge...« Sie verzog das Gesicht. »Sie beschränken den Horizont und schränken auch hier ein...«
    »Stimmt’s oder nicht, Kleine?«
    »Na ja...«, stieß Karin fast tonlos hervor.
    Aber Tante Justine war schon längst woanders.
    »Regine, bring uns was zu trinken. Was möchtet ihr haben? Wein? Fruchtsaft? Brunnenwasser? Wir haben das beste Wasser in der ganzen Camargue!«
    Sie zog einen Stuhl heran, über die Steinfliesen herzu, setzte sich und forderte alle mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Sie begann sich mit Frau Colomb in einer melodischen Sprache zu unterhalten und schlug dann so plötzlich mit der Faust auf den Tisch, daß Karin zusammenfuhr. Mireille blinzelte schelmisch. »Hast du verstanden, um was es geht?«
    »Keine Ahnung!« Karin zog kläglich die Schultern hoch.
    Frau Colomb wandte sich heiter lächelnd an sie.
    »Wir sprechen provenzalisch. Nur sagen wir leider keine

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