Pferde, Wind und Sonne
Sieb!«
Alain, sein stampfendes Reittier mit Mühe beherrschend, hob den Ellbogen, um sich zu schützen. Sein Gesicht war dunkelrot vor Zorn über die Demütigung.
»Laß mich endlich auch reden! Es geht um >Glanzstern »Um >Glanzstern«
»>Glanzstern< hat den Stacheldraht durchbrochen!«
Tante Justine ließ die Hand sinken. Ihr Gesicht drückte Bestürzung aus.
»Du hast geträumt«, sagte sie in ruhigerem Tone. »Kein Pferd kann den Stacheldraht überspringen.«
»Aber er ist darübergesprungen, ich schwöre es dir!« erwiderte Alain erregt. »Ich verfolgte ihn quer durch die Weiher. Bei Bac du Sauvage konnte ich ihn schließlich in die Enge treiben. Er sprengte geradewegs auf den Zaun zu und rannte auf der anderen Seite weiter.«
Constantin und Nicolas waren zurückgekommen, nachdem sie >Caraque< entfernt hatten. Karin sah sie beide einen Blick wechseln.
»Und wo ist er jetzt?« fragte Constantin.
Alain wies auf den Wald auf der anderen Seite des Sees. »Irgendwo dort.«
Constantin runzelte die Stirn. »Wenn er sich in die Nähe der Weide wagt, wird er die Stiere reizen. Man muß ihn vertreiben, bevor er Unheil anrichtet.«
»Überzeugen wir uns selbst«, sagte Tante Justine und rückte ihren Hut entschlossen zurecht. »Pierre, Manuel, ihr überwacht die Stiere. Ich will keine neuen Geschichten!«
Sie ritt voraus mit Constantin und Nicolas, der sich eine neue Zigarre angezündet hatte. Alain folgte mit finsterem Gesicht. Seine geröteten Wangen trugen noch die Spuren von Tante Justines Fingern. »Alte Hexe!« knirschte er.
»Falls du es nicht gemerkt haben solltest, die alte Hexe hat dir das Leben gerettet«, sagte Mireille. »Die Weide ist kein Fußballplatz. Die Gardians...«
»Ich scheiße auf die Gardians«, fiel er ihr grob ins Wort. »Ich will das Pferd, und ich werde es kriegen!«
»Je mehr du es jagst, um so nervöser wird es.«
Mireille war außer sich. »Eines Tages wird es ganz überschnappen, und Tante Justine bleibt nichts anderes übrig, als es abzutun.«
»Klar«, sagte Karin zu Alain. »Es wäre vernünftiger, du würdest versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen.«
Sie hätte den Mund halten sollen. Alain zischte: »Was du nicht sagst! Was verstehst denn du schon davon? Hast du vielleicht einen Vorschlag, wie man das bewerkstelligen könnte?«
»Ich...« Karin biß sich auf die Lippe, es war nicht der richtige Augenblick, ihn herauszufordern.
»Dort ist er!« rief Constantin plötzlich.
>Glanzstern< war aus dem Wald auf getaucht und trabte langsam durch das seichte Wasser des Sees. Der Hengst blieb plötzlich stehen und hob den Kopf, um den Wind zu wittern.
»Er hat uns bemerkt«, sagte Tante Justine. »Wir müssen ihn von der Weide treiben. Nicolas, geh schnell zu den Stieren, Constantin, du kommst mit mir.«
Als sich die Reiter näherten, machte >Glanzstern< ein paar zögernde Schritte. Sein Huf scharrte im schlammigen Boden. Plötzlich schnaubte er und machte eine halbe Kehrtwendung. Das Wasser spritzte auf, als er davonsprengte und im Unterholz verschwand.
»Dort kommt er nicht weiter«, sagte Tante Justine. »Das Gestrüpp ist zu dicht. Wir müssen ihn zum Tor treiben.«
Constantin nickte. »Ich will’s von hinten versuchen.« Er wendete sein Pferd.
Alain stieß einen Schrei aus. »Überlaßt das mir! Ich will ihn einfangen!«
Bevor er sein Pferd anspornen konnte, riß Tante Justines kräftige Hand >Trotzkopf< am Zügel zurück.
»Du bleibst hier, du Dummkopf!«
Im Unterholz knackten Zweige. Das undurchdringliche Gestrüpp hatte den Hengst zur Umkehr gezwungen. Mit wirrer Mähne und wild blickenden Augen erschien er in vollem Licht. Für Sekunden wurde Tante Justines Aufmerksamkeit von Alain abgelenkt. Blitzschnell machte sich dieser die Gelegenheit zunutze. Seine Absätze bohrten sich in >Trotzkopfs< Flanken, und das Pferd galoppierte gegen den See zu. Ein Zittern durchlief >Glanzsterns< Körper. Seine Haltung drückte Aufmerksamkeit aus, Vorsicht. Er schien das Gelände abzuschätzen. Constantin kam von hinten, Alain bedrohte ihn von rechts. Der einzig mögliche Ausweg führte genau in die Gegend, von der ihm seine Nüstern den Moschusgeruch der Stiere verrieten. Erfahrung hatte ihn gelehrt, sie zu fürchten, aber im Vergleich zu den beiden Menschen, die ihn bedrohten, schienen die Stiere weniger gefährlich zu sein. Er setzte alles aufs Spiel. Seine lange, dichte Mähne flatterte im Wind, als er geradewegs auf die Weide zusprengte.
»Hol ihn der Teufel«,
Weitere Kostenlose Bücher