Pferde, Wind und Sonne
wandte sich an Pierre und Manuel: »Ihr beide sorgt mir dafür, daß er in Ruhe gelassen wird.«
Alain öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder. Er band >Trotzkopf< los und sprang in den Sattel. Karin suchte Mireilles Blick, doch Mireille war damit beschäftigt, sich mit ihrem Taschenkamm zu kämmen. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte: »Ach, bitte, Tante Justine, dürfen wir mitgehen?« \ Die Manadière, die den Dreizack in der Hand hielt, sah sie zerstreut an, als hätte sie Karins Anwesenheit ganz vergessen. »Warum nicht? Aber keine Dummheiten, verstanden?«
Solange sie sich auf der Weide befanden, ließen Pierre und Manuel ihr Pferd im Schritt gehen, um die Stiere nicht herauszufordern. Außerhalb des Tores ritten sie den Zaun entlang bis zu jener Stelle, wo der Hengst hinübergesprungen war. Hier saßen sie ab, um nach Spuren zu suchen. Beim Sturz hatte der Schimmel Gräser und Stauden zu Boden gedrückt. Am Stacheldraht hing ein blutiger Fellfetzen. Karin wandte die Augen ab.
»Eine häßliche Wunde wird er haben«, brummte Pierre.
Alain tat so, als hätte er nichts gehört. Die Abdrücke der Hufe waren ungleichmäßig, aber ziemlich deutlich. In der Nähe des Zauns mußte der Hengst gezögert haben und auf der Stelle getreten sein, denn die Hufeindrücke verliefen kreuz und quer durcheinander; dann zweigten sie deutlich nach dem Sumpf ab.
Hintereinander folgten die Reiter dem Weg, den sich >Glanzstern< durch das Schilf gebahnt hatte. Myriaden von Fliegen und Mücken tanzten in der Luft; Karin kratzte sich unaufhörlich. Das trockene Schilf raschelte, als der Trupp hindurchritt, und schlug ihnen ins Gesicht. In der Nähe des Sumpfes wurde das Schilf immer dichter; die Hufspuren ließen sich kaum noch erkennen.
»Wenn er sich ein Bein gebrochen hätte, wäre er längst zusammengebrochen«, sagte Manuel.
Karin schöpfte Hoffnung. Noch war nicht alles verloren! Eine Wunde, auch eine schwere, konnte heilen. Vor Erleichterung vergaß sie Hitze, Müdigkeit und lästige Insekten.
Mit lautem Flügelschlag schwirrte plötzlich ein Entenschwarm aus dem Schilf auf.
»Da!« rief Karin mit klopfendem Herzen.
Vor ihnen, knapp hundert Meter entfernt, wogte das Schilf. Manuel schüttelte den Kopf. »Da hinten ist eine >Roubine Der Gardian hatte sich nicht getäuscht. Kurz darauf vernahmen sie den leichten Aufschlag eines Ruders. Plötzlich wurde das Boot an einer lichteren Stelle sichtbar, es glitt leise auf dem Wasser dahin. Zu ihrer Verwunderung sah Karin eine Frau, die stehend das Boot mit einer langen Stange vorwärtsbewegte. Beim Anblick der Reiter hielt sie beim Rudern inne. Die Frau war klein, zierlich und dunkel gebräunt. Ihre grauen Haare waren im Nacken zu einem Knoten gewunden. Alter, Sonne und Arbeit hatten ihre Züge ausgemergelt, aber die großen braunen Augen und die Form des Gesichts verrieten, daß sie einmal eine schöne Frau gewesen war. Sie trug einen weiten bläulichen Rock und einen zu weiten, verwaschenen Männerpullover. Die braunen Füße waren unbeschuht.
»Guten Tag, Thyna«, sagte Mireille freundlich. »War der Fischfang heute gut?«
Die Alte zeigte stumm auf einen Korb, dessen halbgeöffneter Deckel einige kleine Fische sehen ließ.
Die durstigen Pferde beugten den Kopf zum Wasser, um zu trinken. Die Frau schwieg weiterhin.
»Hast du zufällig >Glanzstern< gesehen?« fragte Pierre. »Er hat sich am Stacheldraht verletzt, und wir müssen ihn finden, um die Wunde zu desinfizieren.«
Die Alte neigte sich ein wenig vor. » >Glanzstern< ist verletzt?« Obgleich sie Alain mit keinem Blick beachtet hatte, war er es, der mit trotzigem Gesicht antwortete: »Ich bin nicht schuld daran! Er ist über den Zaun gesprungen und hat sich selbst verletzt.«
Die dunklen Augen der Alten richteten sich auf ihn. »Du bist ihm also wieder nachgejagt, nicht wahr?«
»Ja und?« antwortete er hochnäsig. »Tante Justine hat mir erlaubt, ihn einzufangen.«
Thyna schüttelte sachte den Kopf. »>Glanzstern< ist nicht einzufangen ...«
»Ganz meine Meinung!« entfuhr es Karin.
Die Haltung der Alten veränderte sich kaum, und doch nahm ihr Gesicht einen aufmerksamen, prüfenden Ausdruck an.
»Wer bist du? Wo kommst du her?« fragte sie mit leiser Stimme, fast nur für sie beide verständlich.
Karin nannte ihren
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