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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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knirschte Tante Justine. Sie wandte ihr Pferd und sprengte davon, um >Glanzstern< den Weg abzuschneiden. Dieser wich ihr aus. Sein Mißtrauen gegen die Menschen, das ebenso stark war wie seine Freiheitsliebe, ließ ihn blindlings davongaloppieren. Nicht nur seine unvergleichliche Kraft verlieh ihm Schnelligkeit, sondern auch seine Furcht und sein Haß.
    Die Stiere fühlten ihn kommen. Abwartend standen sie da, mit gesenktem Kopf und bebenden Flanken. Doch als der Hengst mit dumpfem Hufschlag Erde und Gräser aufwirbelnd, sichtbar wurde, blieben sie reglos, verwirrt von dem Anblick eines Geschöpfs, das kein Artgenosse war. In wenigen Sekunden hatte >Glanzstern< die Weide hinter sich gelassen und war außer Gefahr. Für Karin schien die Zeit stillzustehen, während er auf den Stacheldrahtzaun zustürmte.
    Erst im letzten Augenblick nahm >Glanzstern< das Hindernis Wahr. Er zog die Beine an. Wie beflügelt von übernatürlichen Kräften schnellte er empor. Aber er hatte den Absprung zu kurz bemessen. Ein Bein verfing sich im Stacheldraht, jäh stürzte er mit seinem ganzen Gewicht auf die Knie und fiel zur Seite. Unwillkürlich schloß Karin die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sich >Glanzstern< wieder erhoben. Mit gesenktem Kopf v erweilte er einen Augenblick, als könne er nicht glauben, was ihm geschehen war. Dann machte er ungeschickt einen Schritt und verschwand hinkend unter den Tamarinden.
    Die lange Stille wurde durch ein Brummen unterbrochen: Der alte Nicolas lachte. »Da haben wir’s! Jetzt ist er nicht nur übergeschnappt, sondern auch noch ein Krüppel.« Karin erschrak. »Hat er... hat er sich ein Bein gebrochen?« fragte sie entsetzt. Mireilles Antwort schien aus weiter Ferne zu kommen. »Sieht ganz so aus. Zumindest besteht die Gefahr einer Infektion.« Karin sah Alain kommen; er saß zusammengesunken im Sattel. Mit seiner Sturheit und Rücksichtslosigkeit hatte er das Unglück verursacht. Nur durch seine Schuld war >Glanzstern< verletzt, vielleicht für immer verkrüppelt.
    »Du Idiotenhäuptling«, schrie Mireille ihn an. »Bist du jetzt zufrieden?«
    Alain schluckte leer. »Ich konnte doch nicht voraussehen... Ich meine...«
    »Schweig!« sagte Tante Justine, ohne die Stimme zu erheben. Sie nahm den Hut vom Kopf und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab. »Zum Teufel, gibt es hier nichts zu trinken? Ich sterbe vor Durst!«
     

Sechstes Kapitel
     
     
     
    »Man muß >Glanzstern< einfangen und sehen, was sich machen läßt«, sagte Tante Justine.
    Ihre Augen flammten immer noch zornig, aber sie beherrschte sich. Constantin hatte eine Feldflasche herumgehen lassen, die mit stark gesüßtem Kaffee gefüllt war. Alle außer Alain schienen wieder im Gleichgewicht zu sein. Nicolas sog unentwegt an seiner Zigarre. Karin bekam den Rauch ins Gesicht und wedelte ihn mit der Hand weg.
    » Wenn die >Pariser< das Pferd in diesem Zustand sehen, wird man uns beschuldigen, unsere Tiere schlecht zu behandeln«, brummte der alte Mann. Als »Pariser« bezeichnete Nicolas sämtliche Urlauber, denen er die Schuld an der Verschandelung der Camargue zuschob.
    Tante Justine strich sich die Haare glatt und setzte ihren Hut wieder auf. Der Kaffee hatte sie beruhigt. »Pierre, Manuel, ihr geht >Glanzstern< suchen. Aber vorsichtig. Wenn nötig...«
    Sie beendete den Satz nicht, und Karin fragte sich beunruhigt, was sie wohl hatte sagen wollen. Alain, der sich still verhalten hatte, brach unvermittelt sein Schweigen.
    »Ich gehe mit!«
    »Das fehlte noch!« rief Tante Justine. »Du hast schon genug Unheil angerichtet!«
    Alain errötete bis hinter die Ohren. Die vorwurfsvollen Blicke der Gardians brachten ihn aus der Fassung. Er brüllte los: »Du hast mir aber erlaubt, daß ich >Glanzstern< einfangen darf.«
    »Mußt du mich deshalb anschreien?
    Alain zwang sich, die Stimme zu senken. »Du hast mir versprochen, daß er mir gehören soll«, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Tante Justine nickte und meinte dann: »Und das war ein großer Fehler von mir.« Sie schnallte >Kanadas< Gurt wieder fester. »Um ein Pferd zu zähmen, bedarf es gesunden Menschenverstands und Fingerspitzengefühls.«
    » >Glanzstern< ist total verrückt!« wehrte sich Alain. »Er reagiert nicht wie ein normales Tier.«
    »Um so mehr Grund, behutsam mit ihm umzugehen«, gab sie eisig zurück. Sie saß auf. Vom Sattel aus fügte sie hinzu: »Wenn du noch einmal versuchst, >Glanzstern< nachzujagen, kannst du was erleben!« Sie

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