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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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und Holzrauch. Die schattenhaften Gestalten der Pferde, die unter dem Schutzdach angebunden waren, konnte man in der Dunkelheit nur ahnen. Ein heller, phosphoreszierender Schein am Horizont kündigte den aufgehenden Mond an.
    Karin steckte sich einen Kaugummi in den Mund und bot Alain auch einen an. Ein Weilchen kauten sie stumm.
    Plötzlich sagte er mit gepreßter Stimme: »Wenn er zum Krüppel wird, ist es mir gleich. So etwas kommt vor. Was ich nicht ertragen kann, das ist der Gedanke, daß dieses Pferd mich nicht mag...«
    Karin glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Wie kam er plötzlich dazu, ihr seine Gedanken mitzuteilen?
    »Thyna hat gesagt...«, begann sie; das war verkehrt.
    »Hol sie der Teufel... Diese alte Idiotin!« schnitt er ihr das Wort ab. »Ich will das Pferd, und ich werde es bekommen. Wir werden ja sehen, wer der Stärkere ist!«
    Karin verkroch sich in ihr Schneckenhaus. Wenn er diesen Ton anschlug...
    Mireille kam aus dem Haus. Sie hatte den T-Shirt »Fruit of the Loom« angezogen und trug eine Holzperlenkette.
    »Willst du wirklich nicht mitkommen, Karin? Das Pinedo ist Spitze!«
    »Ein andermal bestimmt«, versprach Karin.
    »Die Schweizer gehen mit den Hühnern schlafen«, spottete Alain, der offenbar seine Mitteilsamkeit bereute. Mireille setzte sich auf den Gepäckträger, und sogleich zickzackte das knatternde Moped über den Hof. Der Lichtschein verlor sich in der Dunkelheit.
    Karin spuckte ihren Kaugummi in den Sand und ging ins Haus zurück.
    Tante Justine musterte sie über die Zeitung hinweg.
    »Müde, nicht wahr?« Ihr Ton war knapp, aber freundlich. Karin lächelte schwach. »Ich spüre meine Knochen kaum noch.«
    »Du meinst, du spürst sie zu sehr«, berichtigte Tante Justine. »Es war ja auch ein anstrengender Tag für dich. Geh nur schlafen, morgen wirst du dich besser fühlen.«
    Karin wünschte ihr eine gute Nacht und begab sich in ihr Zimmer. Sie hätte ihren Eltern schreiben müssen, aber sie hatte nicht einmal die Kraft, einen Kugelschreiber zu halten. Mit schwerfälligen Bewegungen entkleidete sie sich und duschte. Sie war am ganzen Körper zerstochen; die gierigen Mücken hatten ihr das Blut durch die Kleider hindurch ausgesogen. »Nimmt mich wunder, wie lange es dauert, bis ich gegen diese Mückenstiche immun bin«, dachte sie und rieb sich ärgerlich mit der Salbe ein. Sie zog ihren Pyjama an, legte sich ins Bett und knipste die Lampe aus. Der Mond stieg höher, und Schatten bewegten sich über die weißen Wände, die die Hitze des Tages ausströmten. Trotz ihrer Müdigkeit ließ der Muskelkater sie nicht einschlafen. Die Dusche hatte sie kaum erfrischt; in Schweiß gebadet, drehte sie sich von einer Seite auf die andere, kratzte sich, stöhnte und ächzte, bis sie endlich in unruhigen Schlummer fiel.
    Plötzlich wachte sie auf. Bläuliches Mondlicht überflutete das Zimmer. Ihr Blick fiel auf das leere Bett. Mireille war noch nicht zurückgekehrt. Die Zeiger ihrer Uhr standen auf zwanzig nach elf. Durch das offene Fenster drang der Duft der Kräuter, Sträucher und der Erde. Die nächtliche Stille wurde von leisen Geräuschen durchbrochen: Zweige rieben aneinander, der Wind säuselte. Reglos, mit aufgerissenen Augen, lauschte Karin den Tönen der Brachvögel, dem Quaken der Frösche, dem fernen Schrei einer Eule. Ein Pferd wieherte leise.
    Sie stand auf, ging zum Fenster und legte die Stirn an das Drahtgitter. Die milde, aromatisierte Luft fächelte ihre Wangen. Wie Silberfäden glänzten die Binsen im weißen Mondlicht. Die Umrisse der Pinien schienen wie mit chinesischer Tusche gezeichnet. Ein Rascheln erregte Karins Aufmerksamkeit: Unter dem Schutzdach am anderen Ende des Hofes bewegten sich die Pferde. »Sie scheinen nervös zu sein«, dachte sie. »Was mag da sein?« Eine Mücke tanzte gefräßig hinter dem Schutzfenster.
    Karin machte eine flüchtige Handbewegung, um sie zu verjagen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und bekam eine Gänsehaut. Im Schilf raschelte es, als bahnte sich dort ein Mensch oder ein Tier seinen Weg. Die Pferde unter dem Schutzdach schnaubten, zerrten am Zügel, und >Trotzkopf< wieherte. In dem Augenblick, wo wieder Stille eintrat, sah Karin einen hellen Kopf aus den Binsen auftauchen, mit gespitzten Ohren und gewölbtem, kräftigem Hals. Sekundenlang glaubte sie, einer der Schimmel habe sich befreit und sei umhergeirrt. Langsam, aber ohne Zögern schritt das Tier vorwärts und kam in den Hof hinein. Karin sah, daß es einen Huf

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