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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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es vorbei. Nie wieder wird >Glanzstern< mich an sich heranlassen ...«
    Die Zigeunerin steckte das nasse Taschentuch, mit dem sie Karin das Gesicht befeuchtet hatte, in die Tasche ihres weiten Rockes. »Wer weiß? Allem Anschein zum Trotz ist es immer das Tier, das sich seinen Herrn aussucht. Aber der Mensch in seiner Überheblichkeit will es nicht wahrhaben, genauso wie er seine Abhängigkeit von der Erde, dem Meer und dem Himmel leugnet. Von allen Geschöpfen der Erde ist er der einzige, der seinesgleichen ausrottet, wobei er noch seine Untaten zu rechtfertigen sucht...«
    Die Zigeunerin hatte immer leiser gesprochen. Karin mußte sich zu ihr vorbeugen, um ihre Worte zu verstehen. Verstört richtete sie sich auf. Wieder hatte sich Thynas Ausdruck verändert. Ihr Gesicht mit den tiefen Augenhöhlen wirkte müde und alt. Sie sah wie ein Lumpenbündel aus, dem ein säuerlicher Schweißgeruch entströmte.
    Karin spürte, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte. Die Alte faselte keineswegs, aber was nützte es, ihr zuzuhören? Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. >Glanzstern< war für sie endgültig verloren.
    Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie unterdrückte ihr Schluchzen und sagte matt: »Ich... ich muß jetzt gehen.« Als sie sich erhob, stieß sie einen Schrei aus. Ihr ganzer Körper war wie zerschlagen.
    Sicher hatte sie überall blaue Flecken.
    Wie aus weiter Ferne drangen Thynas Worte an ihr Ohr: »Wenn du willst, zähme ich ihn, dann wirst du ihn reiten können.«
    »Was?« stieß Karin hervor.
    »Wenn du willst«, wiederholte die Alte, »helfe ich dir.«
    »Aber... wie wollen Sie das fertigbringen?« stotterte Karin ungläubig.
    Ein seltsames Lachen fuhr über Thynas Gesicht. »Laß das meine Sache sein. Komm morgen um Mitternacht hierher, dann kannst du >Glanzstern< reiten, ohne dabei wie ein Stein durch die Luft zu fliegen.«
    Karin mußte sie wohl mit einem dummen Gesicht angestarrt haben, denn Thyna fügte spöttisch hinzu: »Nur keine Angst, ich will von dir weder ein Geschenk noch Geld.«
    »Ich... ich... daran habe ich gar nicht gedacht...«, verteidigte sich Karin.
    Thyna richtete sich mit federnder Bewegung auf, ohne mit den Händen den Boden zu berühren. »Wenn ich dir helfe, dann nur«, sagte sie ernst, »weil >Glanzstern< dich gewählt hat und keinen anderen.« Ihre knochigen Finger streiften Karins Schulter. »Geh, es wird Zeit für dich. Der Tag bricht an!«
    Karin schwankte auf >Rosa< zu, löste die Fesseln und zog sich in den Sattel hinauf. Jeder Schritt des Pferdes schien ihre Knochen durcheinanderzuschütteln, und sie verbiß ihr Stöhnen. Am Strand stand unbeweglich die Zigeunerin und folgte ihr mit den Augen. Ihr faltiger Rock warf über den hellen Sand einen schwarzen Schatten.
    Als Karin den »Mas« erreichte, wurde der Himmel im Osten schon grau. Zwitschernde Vögel in den Bäumen kündeten bereits die Dämmerung an. Karin fiel vor Müdigkeit fast vom Pferd. Sie band >Rosa< mit erstarrten Fingern an und schleppte sich ins Haus, die Treppe hinauf. Ohne Licht zog sie im Badezimmer ihre feuchten Kleider aus und stopfte sie in den Wäschesack. Ihr Haar war voller Sand, aber wegen der Beule wagte sie nicht, es auszubürsten. Gierig trank sie das Leitungswasser; Durst hatte ihre Kehle ausgetrocknet.
    Vorsichtig öffnete sie die Schlafzimmertür. Mireille, die mit dem Gesicht zur Wand lag, warf sich plötzlich herum. Karin erstarrte. Es vergingen einige Sekunden. Karins Herz klopfte zum Zerspringen. Aber Mireille lag ganz still. Karin holte erleichtert Luft. Gott sei Dank, ihre Angst war grundlos: Mireille schlief! Das Blut pochte Karin in den Schläfen, als sie sich zu Bett legte. Sie zitterte. Das merkwürdige Versprechen der Zigeunerin ging ihr nicht aus dem Kopf. Was hatte Thyna vor? Wie sollte es ihr gelingen, den Hengst gefügig zu machen?
    Die Dämmerung sickerte bereits durch die Ritzen der Fensterläden, als Karin endlich in kurzen, bleiernen Schlaf versank.
     

Dreizehntes Kapitel
     
     
     
    Ein greller Lichtstrahl und laute Stimmen unter ihrem Fenster weckten Karin. Schlaftrunken, mit geschwollenen Lidern sah sie ihre Freundin in Jeans und T-Shirt am Fenster lehnen und sich dann mit einem ärgerlichen Ausruf umdrehen.
    »Tante Justine ist fuchsteufelswild, und das mit Recht! >Trotz-kopf< hinkt, und Alain hat nichts davon gemerkt.«
    Karin richtete sich auf dem Ellbogen auf. Sie verspürte einen stechenden Schmerz im Kopf und legte die Hand an die Stirn.

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