Pferdekuss
nahmen die beiden gegenüberliegenden unteren Plätze ein.
In der rotbraunen Rinderbrühe schwammen Flädle und Schnittlauch. Mimi konnte kochen. Ich versuchte, mit Frau von Sterra eine Konversation über Gartenkräuter anzuknüpfen, während sie mit angelegten Ellbogen die Suppe löffelte. Eigentlich, fand ich, hätte sie Vegetarierin sein müssen. Hajo schaufelte die Suppe mit aufgestützten Ellbogen und dreckigen Fingernägeln. Oben am Tisch ging es um Lokalpolitik. Meine Mutter bediente die Bür germeistersgattin mit Rezepten für Kräutertees. Sie hatte bereits herausgefunden, dass Frau Wagner ein Kind unterm Herzen trug. Ich stellte mich auf einen schweigsamen Abend ein und gierte nach einer Zigarette. Es war mein Schicksal, dass ich immer an unkommunikative Tischnachbarn geriet.
Siglinde half Mimi, die Suppenteller runter- und die Forellen hochzutragen.
»Wir haben doch eine Journalistin am Tisch«, hörte ich beim Grätenfischen den General sagen. »Die kann uns das sicher sagen.«
Alle schauten mir auf die Gräten.
»Herr Wagner, was unser Bürgermeister ist, meint«, rief der General den ganzen Tisch herunter, »ich soll ein Testament machen.«
»Das habe ich so nicht gesagt«, wehrte sich Wagner.
»Natürlich nicht. Sie wollen ja nicht, dass ich denke, Sie dächten, dass es Zeit wird für den Alten abzutreten. Aber wozu ein Testament? Da könnte ich mich am Ende fragen, wer eigentlich was verdient hat. Wenn man einmal anfängt, darüber nachzudenken …«
Du Arschloch, dachte ich, muss das jetzt sein?
»Also, Lisa, du als Journalistin, was meinst du? Muss meine Tochter sich Sorgen machen?«
»Wieso?« Ich verstand ihn wirklich nicht.
Er lachte. »Ich rede von dem, was meine Tochter kriegt, wenn ich kein Testament mache. Kapiert?«
»Eine Hälfte kriegt sie immer, nämlich den Pflicht teil«, stotterte ich.
»Aber nur«, sagte der General, »wenn sich sonst keine Erbberechtigten melden. Zum Beispiel uneheliche Kinder. Und nur, wenn ich nicht wieder heirate. Dann wird der Pflichtteil geteilt, nicht?«
Wozu fragte er mich noch?
Frau Wagner erinnerte sich der Exhumierung von Yves Montand wegen einer unehelichen Tochter, die den Vaterschaftsnachweis brauchte, um ans Millionenerbe zu kommen. Meine Mutter kannte zwar diesen Franzosen nicht, fand es aber beunruhigend, dass so manche Wahrheit aus dem Grabe wieder herauskam, und nannte es gotteslästerlich.
»Es hat sich doch herausgestellt, dass sie gar nicht sei ne Tochter ist«, bemerkte Frau von Sterra. »Das hat der Gentest bewiesen.«
Siglinde und Mimi schleppten Kaninchenbraten, Kartoffeln und Broccoli an.
Die Schwangerschaft von Frau Wagner wuchs sich zum Tischgespräch aus. Sie berichtete bereitwillig, dass ihr jeden Morgen schlecht war, woraus meine Mutter schloss, dass es ein Junge werden würde.
»Mir sind ja leider keine Enkel vergönnt«, bemerkte der General. »Jedenfalls bislang nicht.« Womit wir wieder mal beim Thema waren. »Mein Sohn hat’s leider nicht hingekriegt, Gott weiß, warum nicht, und meine Tochter ist entweder güst oder lesbisch.«
Gerhard von Sterra machte Miene, als vermute er hin ter güst eine besonders moderne Form von sexueller Per version, nach der man nicht fragte. Siglinde hielt die Lider gesenkt und entbeinte konzentriert die Kaninchenkeule. Aber ich bemerkte eine leichte Röte hinter ihren Ohrläppchen.
»Hajo, sagen Sie mal«, rief Gallion den Tisch herab, »wie machen Sie das? Nie geht eine Stute leer vom Hof. Oder ist schon mal eine leer geblieben, die Sie beglückt … ich meine, mit einem unserer Hengste beglückt haben?«
Bürgermeister Wagner lachte haltlos.
Hajo grub sein gemeines Lächeln tief in die Mundwinkel und schwieg.
»Kommen Sie«, sagte der General, »machen Sie nicht so ein Geheimnis darum. Wie kriegen Sie das hin? Woher wissen Sie, wann es Zeit ist für den Sprung? Ich bin sicher, einige hier am Tisch wird das brennend interessieren.«
Jetzt verlor Frau Wagner die Haltung und prustete ki chernd Broccoliröschen über den Tisch. Ihr Gatte wischte sich die Brille.
»Nun verraten Sie uns schon Ihr Geheimnis, Hajo. Schweigen Sie nicht immer. Ja, er ist kein großer Redner, unser Hajo, er ist ein Mann der Tat. Aber wir wissen, dass er den Hengst nicht braucht, um zu wissen, wann eine Stute so weit ist. Er hat seine Tricks.«
Der General hatte eine gnadenlose Stille herbeigeredet, die Hajo keine andere Wahl ließ, als in die erwar tungsvollen Gesichter hinein zu erklären, dass er
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