Pferdekuss
dir ja sagen: Lisa hat doch wirklich geglaubt, dass du Ana… also dass du nicht schreiben kannst …«
Du Aas, dachte ich.
»… aber Papa hat sich jetzt selber lächerlich gemacht mit seinem Kühlungsbronn oder wie das heißt.«
Hajo sagte nichts, ich auch nicht.
»Lisa, du musst unbedingt morgen ausreiten«, sagte Siglinde. »Hast du deine Reithose dabei? Nein? Na, macht nichts. Ich müsste noch eine haben, die dir passt.« Sie trat zurück und maß mit den Augen meine Gesäßbrei te und meine Beine. »Das wird schon gehen. Du bist im Becken etwas schmaler als ich.«
»Aber ich habe seit fünf Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen.«
»Reiten verlernt man nicht, das ist wie Fahrradfahren, was, Hajo?«
Hajo riss den Blick von meinem Gesäß hoch und nick te. »Wir werden schon ein ehrliches Pferd für sie finden.«
Wenn die Bereiter von ehrlichen Pferden anfingen, dann war man als Reiterin praktisch durchgefallen und gehörte zu den Damen mit Goldarmbändern und morschen Knochen, die bei jedem Seitensprung des Gauls sofort das Gleichgewicht verloren.
»Siglinde!«, schrie der General von der Eichenwand her. »Hier sind noch andere Gäste, und die haben leere Gläser.«
Sie schwirrte ab, griff die Schnapsflasche und füllte dem Bürgermeister und Herrn von Sterra nach. Frau von Sterra lehnte ab und raffte den leinenen Edelknitter aus deutschem Ökofachhandel zusammen. Als Siglinde zu Frau Wagner kam, griff meine Mutter ein. »Alkohol schadet Ihrem Kind, denken Sie daran.« Doch sich selbst verwehrte meine Mutter das Gläschen nicht. »Das ist gut für die Verdauung.« Frau Wagner lächelte wie gefoppt und musste sich nun auch noch eine auf Gottes Strafe hinauslaufende Schilderung der Fehl- und Dummgeburten der unverheirateten jungen Leute aus der Nachbarschaft anhören. »Als ich mit meiner Tochter schwanger war, habe ich die Wäsche mit Weihwasser besprengt.«
Ich schlich mich von seitlich an den General heran, der mit Herrn von Sterra über Weinlagen sprach und mit seinem Keller prahlte.
»Warte, ich habe da was für dich. Ich hole die Flasche mal gleich aus dem Keller.« Im Umdrehen wäre er beinahe gegen mich geprallt. »Was willst du?«
»Ich muss mit dir reden.« Es fiel mir immer noch schwer, den General zu duzen. Es gab Intimitäten, die gönnte man nicht jedem.
»Was hätten wir miteinander zu bereden?«
Ich sah Siglindes kohlschwarzen Blick von jenseits des Zimmers und wandte ihr den Rücken zu. »Hör zu, Schwiegervater. Ich will eins klarstellen: Ich bin nur drei Tage hier wegen meiner Mutter. Von dir will ich nichts. Ich bin nicht hier, um die alten Geschichten wieder auszugraben. Also hör auf zu behaupten, ich hätte es auf dein Geld abgesehen. Und wenn du wirklich uneheliche Kinder hast, dann mach gefälligst ein Testament zugunsten Siglindes. Sie hat’s verdient.«
»Geh mir aus dem Weg!«
»Wenn du vorbeiwillst, dann geh da lang. Oder hör mir zu.«
Der Alte schlitzte die Augen und gebar ein fieses kleines Lächeln. »Was legst du dich denn so ins Zeug für Siglinde. Ihr wart euch doch früher nicht grün. Hast wohl ein schlechtes Gewissen, eh?«
»Wieso denn?«
Er lachte tonlos. »Rennst gegen die Riegelwand und fragst noch, wo es gewummert hat. Du gestattest, dass ich dir nicht glaube. Natürlich willst du was. Jetzt tust du so, als wolltest du Siglinde helfen. Aber sie braucht deine Hilfe nicht. Wir brauchen alle deine Hilfe nicht. Mein Sohn hat sie auch nicht gebraucht. Also geh mir aus dem Weg.«
»Ich bin nicht schuld an Todts Unfall! Er saß am Steuer.«
»Du denkst wohl, mit deinem entstellten Frätzchen glaubt dir das jeder. Seht her, ich bin ja selber Opfer. Aber was hast du gemacht mit Todt? Keiner war dabei. Was wirklich passiert ist, weißt nur du allein. Dein Gewissen ist rein, ja? Vollständig? Hast einem versoffenen Pfaffen gebeichtet und Ablass bekommen. So seid ihr doch. Hab ich recht? Aber verschont mich, du und deine Mutter, mit dem christlichen Getue, wir helfen uns selbst. Und wenn du Siglinde wirklich was Gutes tun willst, dann verschwinde und hör auf, Hajo nachzustellen. Sie hat nicht mehr viel Zeit, weißt du. Ich sterbe bald. Und ich will hier noch mal Kindergeschrei hören. Ich will die nächste Generation sehen. Ich will sehen, dass es weitergeht. Ich sage dir, wenn Siglinde nicht bald zu Pott kommt mit diesem Kerl oder einem anderen, dann mache ich ein Testament, aber eines, das sich gewaschen hat. Das habt ihr dann davon, ihr aufsässigen
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