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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Gerte fast in die Augen. Er stieg mit zornig verquetschtem Maul, riss sich los und preschte über den Hof. »Ho!«, schrie jemand beim Versuch, Falko im Vorbeigaloppieren am Zügel zu schnappen. Daraufhin legte der Wallach noch einmal zu und war flugs im Durchgang zwischen Wohnhaus und altem Stall verschwunden.
    »Blöde Kuh!«, schrie die Dame und hob die Gerte. Aus dem Doppellauf traf mich eine Salve bösen Blicks. Dann drehte sie um und lief ihrem Pferd hinterher, gefolgt von einem Schwung Reiter, die sich die Jagd nicht entgehen lassen wollten.
    Ich trödelte hinterher. Am Zaun der Westkoppel versammelten sich die Zuschauer. Falko hatte die Weide gestürmt und galoppierte auskeilend durchs hohe Gras. Sechs Männer stapften zur Unterstützung der Halterin in die Koppel. Der siebte legte den obersten Balken des Tors in die Halterung am Pfosten und eilte dem Trupp dann hinterher. Da wandte sich Falko plötzlich um und trabte mit gesenktem Schädel auf diesen letzten Mann zu. Hengste trieben so die Stuten zu Paaren. Der unter den Widerrist gesenkte Schädel war für eine Stute eine solche Drohung, dass sie sofort in den Schutz der Herde flüchte te. Als Falko losgaloppierte, nahm auch der Reiter die Beine in die Hand, um die andern zu erreichen. Die Zuschauer lachten.
    Ich erklomm den Zaun, setzte mich auf den Balken und zündete mir ein Zigarette an.
    Falko umtrabte seine kleine Herde, schüttelte Mähne, Kopf und Zaumzeug und machte den Leithengst. Die Fänger hatten gleich zu Anfang jede Chance verspielt, Falko in eine Ecke zu treiben und anzufangen, denn das Pferd hatte einen Mann in die Flucht geschlagen und fühlte sich jetzt nicht als Fluchttier, sondern als Sieger. Mit gesenktem Schädel sprang er auf jeden zu, der die Nase aus dem Grüppchen herauszustrecken wagte. Er war grimmig, hatte das Laientheater um ihn herum satt, das Eingezwängtsein, die ganze mit Gerten und Sporen aufgerüstete Dummheit. Zu Fuß waren die acht Gestiefelten schwach wie eine Herde Schafe.
    Nun ist es aber so, dass unter sieben männlichen Reitern auf jeden Fall einer ist, der sich als Held sieht und sich von den Gäulen nicht auf der Nase herumtanzen lässt. In diesem Fall war es einer, den die Zuschauer am Zaun den Herbert nannten. Er sprang, als Falko an ihm vorbeitrabte, plötzlich vor und haschte nach dem hängenden Zügel. »Ja!«, schrie hinter mir einer, denn Herbert hatte den Zügel erwischt. Doch Falko wich nicht aus, wie man dies von einem Pferd erwartete, versuchte nicht, sich loszureißen, sondern warf sich mit der Schulter gegen den Mann, biss ihn ins Knie, riss ihn mit dem Sattelzeug um und keilte im Davonpreschen aus.
    Bis zu mir hörte man Herbert fluchen und die andern dem Pferd hinterherschreien.
    Falko schwenkte im Imponiertrab vom Kreis ab und näherte sich mit gespitzten Ohren und geweiteten Nüstern uns am Zaun. Ich faltete die Hände mit der Zigarette zwischen den Knien. Bitte!
    Das Maul an meinem Knie kam Falko zum Stehen. Dann geschah das Wunder, das man nie erklären kann, es sei denn, man behauptet, Pferde hätten einen sechsten Sinn für unsere Nöte. Mit der Hinterhand kam der Araber herum und präsentierte sich mir mit Sattel und Zaum zeug. Ich brauchte mich nur vom Zaun auf seinen Rü cken gleiten zu lassen.
    Kaum hatte ich den Zügel ergriffen, der ihm überm Ohr hing, marschierte er los zum Tor. Dort angekommen hob er den Kopf über den quergelegten Balken und trat bis auf Brustberührung heran. Ich beugte mich vor und schob den Balken von der Auflage. Falko zuckte nicht einmal, als das Balkenende vor seinen Hufen in den Staub knallte. Unverzüglich stieg er über das Holz.
    Auf der Weide schrien die Leute.
    »Ich bringe ihn wieder!«, schrie ich zurück.
    Die Schaulustigen auf dem Weg wichen respektvoll aus. Keiner wagte es, Falko und mir in die Zügel zu grei fen, um uns aufzuhalten. Ich warf die Zigarette weg. Fal ko legte einen ordentlichen Schritt vor, während ich den zweiten Sattelgurt festzog und die Steigbügelriemen auf meine Länge einstellte.

28
     
    Jahrelang hatte ich nicht mehr so viel pralles Leben unter mir und zwischen meinen Beinen gehabt. Wenn ich es recht bedachte, hatte ich überhaupt noch nie auf einem Vollblutaraber gesessen, weil Todt und der General mir den Umgang mit Vollblütern nicht zugetraut hatten. Solch ein Pferd verzieh keinen Fehler und keine Unentschlossenheit. Wer sich auf die totale Bewegung, ihren Eifer und ihre Kraft, nicht einlassen konnte, flog bei nächster

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