Pferdekuss
aufgebrochen? Vielleicht war Siglinde zu ihm gelaufen wie ein kleines Mädchen zu einem Vater, der sie immer beschützt hatte. Er wollte den Rest seiner Familie retten, grübelte eine Nacht und gab am andern Morgen die Parole aus: abwarten, je nach La ge reagieren, Verwirrung stiften. Er war Kavallerist, ein Stratege mit der Fähigkeit, flexibel die Taktik zu ändern.
Ich lieferte ihm und Siglinde die Vorlagen. Ich schloss, dass die Tote eine Reitschülerin sein müsse. Daraufhin spielte Siglinde Feil und mir Vanessas Karteikarte in die Hand. Der Name Bongart war damit gefallen. Zugleich wirkte Siglinde ahnungslos und schuldlos. Ir gendwann würde man auf Heide kommen, spätestens, wenn Vanessa wieder auftauchte. Je mehr Zeit verging, desto mehr Spuren waren bereits verwischt. Für Siglinde ein Vorteil. Inzwischen manipulierten Tochter und Vater mich in Richtung Verdacht gegen Hajo. Siglinde zauber te seine Marbacher Vergangenheit hervor. Als ich seinen Analphabetismus entdeckte, nutzte der General die Gele genheit, um ihn als polnischen Zigeuner, unentwegt täti gen Beschäler und wortkargen Stoffel bloßzustellen. Wenn Heide identifiziert wurde, musste Hajo überdies als Vater ihres Kindes dastehen. Deshalb bestritt der General eine Beziehung mit ihr.
Ich wünschte, jemand würde den Kläffer im Nachbargarten vergiften. Er störte beim Denken.
Zugleich besorgten sie Hajo noch ein viel besseres Motiv für einen Racheakt. Siglinde erzählte mir vom vergifteten Arabal. Sie hatte Bongarts Schließfach schlüssel, deponierte Eibenzweige in der Tüte mit Pfer dekuchen und warf den Schlüssel wieder zurück in Prinz’ Box, damit die Polizei ihn fand. Es hätte mir schon ges tern auffallen können, dass es sich um Heides Schließfach handelte, nicht um Vanessas, als uns Zoros weiße Haare aus den Bürsten entgegenflogen, nicht die schwarzen von Prinz.
Wo war nun aber Heides Goldschmuck? Er war nicht im Stausee versenkt, jedenfalls nicht vollständig, denn Aggi, den der Alkohol umtrieb, hatte einen Ohrring gefunden, und zwar zusammen mit nicht mehr ganz frischem Eibengrün. Aber wo? Mein intuitives Orakel gegenüber Hajo fiel mir ein: »Dann wollen wir hoffen, dass man Heides Klunker nicht unter deiner Matratze findet.« Siglinde hatte die Schlüssel für alle Gesindezimmer. Ei nen besseren Beweis gab es nicht als blutiges Gold unter Ha jos Matratze. Vielleicht hatte Aggi, getrieben vom Teufel Alkohol, heute Klinken probiert und in Hajos Bude nach Fusel gesucht und den Ohrstecker gefunden. Aber wieso auch Eibe?
Nachbars Köter kläffte wieder.
Auf der Achterbahn zwischen Schlafsucht und Ärger über den Hund suchte ich nach meiner Pflicht. Was soll te, was musste ich tun? Den General zur Rede stellen? Feil alles erzählen? Aber wozu noch? Todts Tod zu rächen, war ich zu müde. Das brachte ihn nicht wieder. Und die Polizei würde letztlich von alleine draufkommen, ohne mich und ohne dass ich das Gestüt noch einmal betrat. Aggi befand sich bereits in Polizeigewahrsam und brabbelte Dinge, die Feil nicht ignorieren konnte. Bongart würde damit rausrücken, dass er den Wagen seiner Exfrau Donnerstagabend um halb zehn noch auf dem Gestütsparkplatz gesehen hatte. Unter diesen Umständen musste er nicht einmal mehr selbst den Totschlag im Affekt auf sich nehmen, um seine Tochter zu schützen.
Aber die Indizien gegen Siglinde waren außerordentlich dünn. Der einzige mögliche Zeuge war ein betrunkener Stallknecht. Auch die Mistgabel aus dem Schulstall, die Feil wahrscheinlich nicht einmal sichergestellt hatte, taugte nicht viel. Sie trug in jedem Fall Siglindes Fingerabdrücke, denn sie hatte sie am Freitagvormittag erneut ergriffen, als Julia besinnungslos herumschrie.
Feil würde in jedem Fall zuerst Hajo verhaften. Vielleicht sogar zu Recht, denn warum hätte Siglinde, drei Wochen bevor sie Heide im Affekt umbrachte, Arabal vergiften sollen, ein Pferd, mit dem sie viel Geld verdie nen konnte?
So ein Irrsinn passte eher zu einem Mann. Hajo konnte es missfallen haben, die Herrschaft über Arabals Samen an Siglinde abtreten zu müssen, weil er ihr das Geschäft mit Rennpferdfohlen missgönnte. Er könnte Arabal als sein geistiges Eigentum betrachtet haben. Die Polizeistatistiken sind voll von Männern, die das umbringen, was ihnen zu entgleiten droht, ein Pferd oder eine Frau wie Heide, die mit Hajos Spross im Bauch die Ehe mit dem General anstrebte. Dann hätte auch Aggis Eibenfund unter Hajos Matratze mit der
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