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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Eiseskälte aus dem Wald fiel mich an.
    Falko warf sich auf der Hinterhand herum und presch te den Weg zurück. Gelinde Panik erfasste mich. Wir bretterten an der Stutenweide entlang. Ich sah voraus, dass uns die Spaziergänger auf der Querachse zu einer langsamen Gangart zwingen würden. Doch ein Ausweg bot sich plötzlich an, ein Traktorweg zwischen dem Südzaun der Stutenweide und der angrenzenden Koppel. Falko jagte um die Ecke. Die Zäune flogen an uns vorbei, der Kilometer sauste unter den Hufen weg. Wir schlitterten nach links auf den asphaltierten Hauptweg.
    Die Herde der weißen Shagyastuten mit ihren Saugfohlen sah inzwischen völlig anders aus. Alle Köpfe wiesen nach Norden, keine Stute graste mehr. Die Leitstuten standen aufgeworfen, die Ohren gespitzt, die Nüstern im Wind, und lauschten.
    Hinter der Kuppe auf der Junghengstkoppel ging unsichtbar für sie und uns etwas vor, das sie beunruhigte.
    Falko entwickelte eine geradezu gewalttätige Kraft im vollen Galopp den leichten Anstieg zum Hengstweidentor hinauf. Plötzlich tauchte vor uns Hajos Fahrrad auf. Es lehnte neben dem Tor. Falko fuhr zusammen, ich auch, und stoppte unvermittelt. Ich konnte mich gerade eben noch oben halten. Er schnaufte übers Tor, sog Informationen von jenseits der Anhöhe ein, die uns auch von hier aus den Einblick verwehrte.
    Das Hängeschloss, das die Jungtierweide gegen Pferdeklau sicherte, baumelte offen am Ring im Pfosten. Um das Tor zu öffnen, musste ich nur den Riegel auf der Innenseite zurücklegen. Falko kannte das Verfahren. Er seufzte zwar, wusste aber, dass er umdrehen musste, da mit ich das Tor wieder schließen konnte.
    Auf diesen entlegenen Weiden verbrachte immer eine Hengstfohlengeneration zusammen ihre Jugendjahre in fast völliger Freiheit. Nach vier oder fünf Jahren trieb man die Herde in die große Reithalle. Dort wurde den Junghengsten zum ersten Mal der Sattel aufgelegt, und die Bereiter bestiegen die Tiere. Dass dieses allererste Anreiten ohne Tanz und Spektakel vonstattenging, hatte entscheidend damit zu tun, dass die Junghengste ein stabiles Sozialgefüge untereinander aufgebaut hatten und deshalb genug Selbstvertrauen besaßen, um sich dem neuen Leben mit Sattel und Reiter ohne Panik zu stellen. Vielleicht stammte auch Falko von so einer Weide, denn er hatte sein Urvertrauen in sich und den Reiter auch in den Jahren nicht vergessen, da er von seiner halbirren Halterin herumgezerrt worden war.
    Neugierig trabte er die Kuppe hinauf.
    Vor uns schwang sich die ausgedehnte Koppel zu einem Bach hinab und stieg drüben wieder hinauf bis an die Ränder der Kiefernschonung, die sie im Westen und Norden einfasste.
    Unten jagten ein Dutzend Einjährige, geflankt von zwei Reitern, einen Fußgänger.
    Es war Hajo, der um sein Leben rannte. Die Herde galoppierte ihm hinterher, auf Kurs gehalten von Siglinde auf einem Fuchs und dem General auf dem Braunen. Vorneweg rannten zwei großrahmige keilköpfige Brau ne. Als sie Hajo bis auf wenige Meter eingeholt hatten, schlug er einen Haken. Der Schwung trug die Herde an ihm vorbei. Er blieb stehen und keuchte.
    Das Spiel funktionierte ganz einfach und war darauf angelegt, dass der Mann zu Fuß irgendwann vor Erschöpfung ins Stolpern geriet und von der Herde überrannt wurde. Nur ein Indianer hätte hinterher anhand der Hufspuren im harten Sommerboden rekonstruieren können, dass es sich nicht um einen tragischen Unfall mit einer plötzlich in Panik geratenen Herde handelte. Die beiden Reiter mussten lediglich darauf achten, dass Hajo niemals einen rettenden Zaun erreichte. Von meiner Kuppe aus konnte ich sehen, wie der General Hajo mit kleinen Attacken beschäftigte, während Siglinde die Hengstherde am Westzaun umrundete und mit Geschrei und Armbewegungen wendete. Der General war immer noch ein vorzüglicher Reiter, der seinen Braunen souverän um Hajo herumtanzen ließ. Es gelang Hajo nicht, so dicht heranzukommen, dass er den Reiter am Bein pa cken und vom Pferd stoßen konnte. Doch wenn er sich zur Flucht wandte, hatte er die Schnauze des Braunen sofort zwischen den Schulterblättern und musste beiseitesprin gen.
    Ich trieb Falko langsam den Hang hinab. Im vollen Galopp hinunterzubrettern entsprach nicht meinem reiterlichen Können. Schließlich kam es jetzt darauf an, dass es mich nicht aus dem Sattel haute, bloß weil Falko durch ein Mauseloch stolperte.
    Das Erscheinen eines neuen Pferdes löste allgemeine Aufmerksamkeit aus. Der General parierte sein Pferd.

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