Pferdesommer mit Lara
Mal; das hätten wir hören müssen, weil die Wagenfenster offen standen. Die Sonne brannte aufs Wagendach, aber ich tröstete mich damit, dass der Anhänger nicht geschlossen war. Über der Tür gab es eine große Öffnung, durch die der Fahrtwind streichen konnte.
Nach zwei Stunden machten wir in einer Landgaststätte Pause. Während Herr Theisen im Wirtsgarten saß, tränkten wir Lara aus dem Eimer, den Arne mitgenommen hatte. Sie war sehr durstig und fraß sogar ein paar Apfelscheiben und zwei Karotten. Arne deutete das als gutes Zeichen.
»Wenn sie vor Angst völlig fertig wäre, würde sie nichts anrühren«, sagte er.
Ich hätte nicht geglaubt, dass ich je so froh darüber sein könnte, den Kirchturm unseres Städtchens in der Ferne auftauchen zu sehen. Auch Herr Theisen seufzte vor Erleichterung.
»Andere Leute machen Marathonläufe«, sagte er. »Aber das, was wir hier tun, ist sinnvoller.«
Elisa und Bonnie waren bei den Pferden, als wir neben der Koppel anhielten. Bonnie vollführte vor Freude akrobatische Luftsprünge und ihr Schwanz wedelte wie ein Propeller. Jago und Fee kamen mit wehendem Schweif hinter ihr her zum Gatter galoppiert.
Wir führten Lara aus dem Hänger, da stieß Jago ein gellendes Wiehern aus. Fee lief am Gatter auf und ab.
Sie blähte die Nüstern und stülpte ihre Oberlippe auf, als würde sie lachen.
»Sie flehmt«, erklärte mir Herr Theisen. »Auf diese Weise nimmt ein Pferd den Geruch eines anderen Pferdes auf.«
Lara ging nur zögernd ins Freie. Arne meinte, sie hätte Angst vor dem, was sie erwartete. Für sie war wohl die ganze Welt ein bedrohlicher Ort voll ungeahnter Schrecken.
Ein Teil in mir wartete darauf, dass Lara den Kopf hob und wieherte, dass sie den Wald und die fetten Wiesen roch und sah, in welches Paradies wir sie gebracht hatten.
Doch dazu war es wohl noch zu früh. Sie schaute sich nicht um und ließ die Nase hängen. Sofort kamen die Fliegen wie Vampire angesurrt und ließen sich gierig auf ihren Augen und ihren entzündeten Lidrändern nieder.
»Armes Mädchen! Die Fahrt steckt ihr noch in den Knochen«, sagte Arne mitleidig.
Jago, Fee und Robin folgten uns innerhalb des neuen Zauns mit tänzelnden Schritten und aufgeregtem Schnauben. Ich hatte das Gefühl, dass sie am liebsten über die Absperrung gesprungen wären. Lara aber beachtete sie kaum.
Erst jetzt sah ich Elisa langsam über die Wiese schlendern. Sie trug eine elegante beigefarbene Reithose mit Wildlederbesatz und ein schilfgrünes Poloshirt, das gut zu ihren silberblonden Haaren passte.
Im Näherkommen warf sie einen Blick auf Laras struppiges Fell, runzelte die Stirn und sagte nur: »Hoffentlich kriegt ihr die wieder hin …«
»Du kannst einen echt aufbauen!«, erwiderte Arne.
Sie zuckte mit den Schultern. Herr Theisen, der rot im Gesicht war und schweißnasse Haare hatte, verkündete, er wolle auf dem schnellsten Weg nach Hause in den Wohnwagen, duschen und sich dann mit einem schönen Glas Wein in den Schatten legen.
»Ihr kommt jetzt sicher ohne mich klar«, sagte er.
»Danke!«, murmelte ich, als er mir die Hand gab. »Vielen Dank!«
Etwas Besseres fiel mir nicht ein, auch wenn ein einfaches Dankeschön eigentlich zu wenig für das war, was er für Lara und mich getan hatte. Doch er lächelte nur, winkte ab und stieg in seinen Wagen. Elisa nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Wir brachten Lara auf ihre kleine, abgetrennte Weide, die auf der einen Seite vom Bach begrenzt war und auf der anderen von einem Gehölz aus Erlen, Buchen und Haselnusssträuchern. Arne und ich hatten das Gatter provisorisch zusammengezimmert. Es bestand nur aus ein paar Holzpflöcken, die mit einem Querbalken und Drähten verbunden waren.
»Wie lange muss sie hier allein bleiben?«, fragte ich.
»Zwei oder drei Wochen vielleicht. Wir sehen schon, wie die anderen Pferde sich verhalten. Sie müssen sich erst aneinander gewöhnen, sonst könnte es Rangkämpfe geben.«
Arne lehnte dicht neben mir an dem Gatterbalken, während Lara ihre ersten vorsichtigen Schritte auf der Weide machte. Unter ihrem stumpfen rotbraunen Fell zeichneten sich deutlich die Rippen des Brustkorbs ab.
»Das Ankommen hast du dir sicher anders vorgestellt«, sagte Arne mit seiner sanften Stimme. »Aber vielleicht muss man Lara mit jemandem vergleichen, der lange in Gefangenschaft war. Der springt und tanzt auch nicht gleich wild durch die Gegend, sondern er muss sich erst wieder an die Freiheit und das normale Leben draußen
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