Pferdesommer mit Lara
ich Angst bekam und dachte: Vielleicht sind wir zu spät gekommen, vielleicht lebt Lara nicht mehr lange...
Doch Dr. Jansen hatte gesagt, bei guter Pflege würde wieder ein schönes, gesundes Pferd aus ihr werden. Er konnte sich nicht so irren, er kannte sich doch mit Pferden aus.
Trotzdem traf mich der Gedanke an den Tod an meiner empfindlichsten Stelle. Ich bekam heftiges Herzklopfen, mein Magen krampfte sich zusammen und meine Hand an Laras Hals zitterte.
»Du musst durchhalten, Lara, hörst du?«, flüsterte ich. »Du musst gesund werden! Gib nicht auf, dein Leben fängt doch gerade erst an …«
Das Pferd, das in der Nachbarbox stand, wurde von einer älteren Frau ins Freie geführt. Sie sah mich flüchtig an und nickte kurz, schenkte Lara aber keinen einzigen Blick. Ihr eigenes Pferd - ich vermutete, dass es ihr gehörte - sah richtig edel aus. Es hatte schwarzes, seidig glänzendes Fell, das so gepflegt wirkte, als würde es jeden Tag gründlich gebürstet und hinterher noch poliert.
Ich fragte mich, wie lange diese Frau wohl schon an Lara vorbeiging, ohne sich um ihr Elend zu kümmern, während ihr eigenes Pferd verhätschelt, umsorgt und aufgestylt wurde. War das nicht so ähnlich wie mit manchen Kindern, die verprügelt und vernachlässigt werden, ohne dass die Nachbarn sich darum kümmern?
Arne und Jule kamen und brachten mir eine Flasche Mineralwasser. Dann folgte Herr Theisen mit dem Kaufvertrag - und Laras Papieren.
»Was für ein Ekelpaket!«, sagte er und schnitt eine Grimasse. »Ich hab selten einen derart arroganten, unsympathischen Menschen kennengelernt. Er hat so getan, als müssten wir ihm die Füße dafür küssen, dass er uns Lara so billig überlässt.«
Arne hatte die Halbtür von Laras Box geöffnet und tätschelte ihren Hals. »Das Beruhigungsmittel scheint gut zu wirken, sie ist ziemlich dösig. Wann war Doktor Jansen hier?«
»Ungefähr vor zwei Stunden«, sagte Jule. »Er hat mir diese Tüte mit Medikamenten für euch gegeben.«
Ich griff nach der Papiertüte. Arne legte Lara das Halfter an, das wir mitgebracht hatten, und wir führten sie aus ihrem dunklen, sauer riechenden Stall. Ein letztes Mal ging sie über den gepflasterten Hofplatz, mit hängendem Kopf und langsamen, fast unbeholfenen Bewegungen.
Die Kinder traten zurück, bildeten eine Art Spalier und beobachteten uns. Irgendwo wieherte ein Pferd; sonst herrschte plötzlich gespannte Stille.
Als wir das große Holztor erreichten, rief eine helle Stimme: »Tschau-tschau, krätzige Lara!«
Gelächter begleitete uns, während wir durch das Tor gingen. Warum war es nur oft so, dass die, die leiden mussten, auch noch dafür verspottet wurden?
Eine Welle von Wut stieg in mir hoch. Ich drehte mich um und sagte laut: »Verpisst euch, ihr Mistkröten!«
Arne sah mich über Laras Hals hinweg an. »Nimm’s nicht persönlich«, sagte er. »Die sind einfach zu beschränkt, um irgendwas zu kapieren.«
Wir hatten geglaubt, es würde schwierig sein, Lara in den Hänger zu bringen, doch sie war geduldig und schicksalsergeben wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Wir schlossen die Tür hinter ihr und sie sah sich kein einziges Mal um.
»Das ging ja wunderbar!«, sagte Herr Theisen erleichtert. »Hoffentlich wirkt das Beruhigungsmittel noch ein paar Stunden.«
Jule winkte uns nach. Sie hatte angekündigt, dass sie uns spätestens in den Herbstferien besuchen wollte. »Um nach Lara zu sehen«, wie sie sagte; doch es ging wohl mehr um Arne.
Ich überlegte, wie Arne zu ihr stand. Er mochte sie offenbar gern, doch mehr wie eine Schwester oder einen guten Kumpel. Verliebt wirkte er jedenfalls nicht. Oder konnte er es nur gut verbergen?
Als ich zurückschaute und Jules Gestalt hinter einer Hausecke verschwinden sah, dachte ich voller Dankbarkeit, dass sie die Einzige gewesen war, die sich für Lara eingesetzt hatte. Sie hatte Arne angerufen und um Hilfe gebeten und für die Stute getan, was sie konnte, während sonst keiner einen Finger für sie rühren wollte.
Der Weg über die Landstraße zog sich endlos hin, denn Herr Theisen fuhr mit Rücksicht auf Lara sehr langsam. Durch das Rückfenster und die Plastikscheibe im Anhänger konnten wir Laras Kopf sehen. Immer wieder sah ich mich um, so oft, dass Arne meinte, ich würde morgen sicher mit einem steifen Hals aufwachen.
»Sie ist ganz okay, keine Angst«, sagte er. »Wenn sie Panik hätte, würden wir das schon merken.«
Ja, Lara war ruhig und wieherte kein einziges
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