Pflicht und Verlangen
dann vorwurfsvoll fortzufahren:
»Auch Lord Battingfield ist verschwunden. Dass er aber auch
immer das Haus verlässt, ohne etwas zu sagen! Dabei habe ich so
wichtige Neuigkeiten!« In Vorfreude über die Verkündigung
ihres Geheimnisses klatschte sie in die Hände. »Meine
liebe Miss Millford, ich muss es Ihnen unbedingt erzählen, sonst
platze ich noch!« Schnell huschte sie in die Halle hinaus, zog
die durchfrorene und erschöpfte Charlotte in den Salon und
schloss die Tür hinter sich.
Charlotte
wartete ergeben auf die Eröffnungen der Hausherrin, während
das Wasser, das ihr aus Kleid und Haaren tropfte, um sie herum eine
Pfütze bildete. Also, dachte sie resigniert, dann eben das auch
noch. Lady Battingfield lehnte indes mit geschlossenen Augen und
einem glücklichen Leuchten in ihrem hübschen, aber allzu
glatten Gesicht an der Tür.
Endlich
seufzte sie in höchster Zufriedenheit und wandte sich dann
Charlotte zu. »Wie Sie wissen, war heute Dr. Fowler bei mir. Er
hat mich untersucht, weil ich doch in den letzten Wochen oft so
unpässlich war. Oh, Miss Millford, Sie glauben gar nicht, wie
unangenehm mir das war. Dieser Pferdearzt! John kann sagen, was er
will …«
Charlottes
Ungeduld wuchs. Für Lady Battingfields ausschweifende
Erklärungen hatte sie jetzt weder die Zeit noch die Kraft.
»Und?«, fragte sie deshalb und konnte dabei eine leichte
Schärfe in ihrem Tonfall nicht verbergen, die aber der
Angesprochenen in keiner Weise bewusst wurde. »Was hat Dr.
Fowler diagnostiziert? Ich hoffe, nichts Ernstes.«
Lady
Battingfield lachte affektiert auf: »Etwas Ernstes? Nein, etwas
Ernstes ist es nicht … obwohl, wenn man es genau nimmt, es
doch eines der ernstesten Ereignisse im Leben einer Frau ist.«
Sie hielt inne, um die ungewöhnliche Tiefe ihrer Gedanken
auszuloten, entschloss sich dann aber zum Sprung in die sichere, aber
platte Welt der Tatsachen. »Miss Millford, ich erwarte ein
Kind! Endlich! Ist das nicht wunderbar? Ich habe es schon nicht mehr
zu hoffen gewagt, ich hatte schon Zweifel an mir, manchmal sogar an
meinem Mann. Sie wissen ja, meine Schwester hat schon drei Kinder und
ist erst acht Jahre verheiratet.«
Charlotte
stand wie vom Donner gerührt. Hatte sie vielleicht in einem
kleinen, versteckten Winkel ihres Herzens noch der Hauch eines
Zweifels umgetrieben und das wahnwitzige Fünkchen Hoffnung, dass
es vielleicht doch eine Möglichkeit gab für John und sie,
so wusste sie nun mit erbarmungsloser Gewissheit, dass dieser Weg für
immer verbaut war. Die nächste Empfindung war Erleichterung.
Erleichterung darüber, dass sie ihre Entscheidung getroffen
hatte, bevor sie diese Neuigkeiten erreichten. Sie würde
immerhin noch in den Spiegel schauen können und sich nur
vorzuwerfen haben, dass sie zwar ehrliche und starke Liebe empfand
für einen Mann, den sie nicht lieben durfte, aber sie hatte
ehrenvoll gehandelt und sich für das Richtige entschieden.
Sie
ging auf die Frau John Battingfields zu und gab ihr einen aufrichtig
gemeinten Kuss auf die Wange. »Das freut mich so für Sie,
Lady Battingfield. Ich weiß, wie sehr Sie sich ein Kind
gewünscht haben. Es wird alles gut werden.«
Zufrieden
schaute diese sie an, überglücklich, endlich ihr Ziel
erreicht zu haben. »Danke, Miss Millford! Wie schön, dass
Sie sich auch mit uns freuen!«
Charlotte
beschloss, ihre Zeit auf Dullham Manor nun kurz und schmerzlos zu
beenden. »Sie werden jetzt alle Hände voll zu tun haben,
Lady Battingfield«, begann sie deshalb. »Überdies
habe ich heute einen dringenden Brief meiner Tante erhalten. Ich muss
so schnell wie möglich abreisen. Das werden Sie sicher
verstehen, ich möchte Ihnen auch nicht weiter zur Last fallen.
Am liebsten wäre es mir, wenn ich gleich morgen noch vor dem
Frühstück abreisen könnte. Ob Sie mir wohl einen Wagen
zur Verfügung stellen könnten? Dafür wäre ich
Ihnen sehr dankbar. Morgen früh so gegen sechs Uhr? Es wird
nicht nötig sein, dass Sie und Lord Battingfield deshalb früher
aufstehen. Am besten, Sie sagen ihm nichts. Bestellen Sie ihm nur
meine besten Grüße.«
Lady
Battingfield nickte erstaunt. »Selbstverständlich, Miss
Millford, wenn Sie es so wünschen. Aus unseren Plänen wird
ja nun doch nichts. Obwohl ich nun so schnell wie möglich mit
meinem Gatten nach London reisen möchte. Ich möchte meine
Familie in dieser wichtigen Zeit nun um mich haben.«
Dein
Mann ist doch deine Familie, du törichte Frau. Und er ist ein
guter Mann!, dachte Charlotte,
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