Pflicht und Verlangen
stören. Nachdem er
eine Weile in sich gekehrt dagesessen und ein ums andere Mal ein »hm«
oder ein »oder besser so« von sich gegeben hatte, blickte
er schließlich auf. »Ich glaube, ich habe eine Lösung
für das arme Kind. Sie ist noch sehr jung, sagten Sie?«
Charlotte
bejahte: »Gerade einmal fünfzehn Jahre alt.«
» Ich
erzählte doch auf unserem Rückweg vom Observatorium von der
Familie des alten Doyle, Sie erinnern sich?«
Charlotte
nickte erneut: »Ja, das war diese Familie, die Sie durch die
Stiftung unterstützen wollten«. Sorgsam vermied sie es, in
diesem Zusammenhang den Namen »John Battingfield«
auszusprechen. Sie spürte, dass ihr schon die Erwähnung des
Namens Schmerz bereiten würde.
» Ich
denke, wir sollten die kleine Emmy in dieser Familie unterbringen.«,
fuhr Banning fort, »Mrs Potter, die Tochter des alten Doyle,
ist, wie Sie ich sicher erinnern, Witwe und eine einfache, aber
herzensgute Frau und liebevolle Mutter. Sie hat ein großes Herz
und wird Emmy sicher aufnehmen, besonders wenn sie hört, wie
schuldlos das Mädchen an dieser tragischen Geschichte ist. So
wird es ihr auch leichterfallen, die Unterstützung durch die
Stiftung anzunehmen, die sie sonst vielleicht zu sehr als Almosen
empfinden würde. Emmy kann ihr bis zur Niederkunft auf dem Hof
und bei den Kindern zur Hand gehen und wird, wenn ihre Zeit gekommen
ist, in Mrs Potter eine verständnisvolle und erfahrene Helferin
finden. Dann werden wir weitersehen. Sollte sie wieder arbeiten
wollen, findet sich sicher ein guter Pflegeplatz für das Kind,
vielleicht kann es auch einfach in der Kinderschar der Potters
aufwachsen, was ich persönlich für das Beste halte. Die
Unterstützung durch die Stiftung wird einfach etwas großzügiger
ausfallen und keiner braucht etwas über die wahren Hintergründe
zu wissen.«
Charlottes
Anspannung löste sich etwas bei diesem ausgezeichneten Vorschlag
und sie begann zu lächeln: »Das wäre eine wunderbare
Lösung. Am besten soll Emmy so schnell wie möglich dorthin
kommen. Ich werde sie zu Ihnen schicken, wenn es Ihnen recht ist.«
Sie erhob sich.
» Oh
nein, meine junge Dame, Sie bleiben noch sitzen«, befahl
Banning. »Denn das weitaus schwierigere Problem haben wir noch
nicht besprochen. Was ist mit Ihnen? Sie sagten, dieser Unmensch
würde in zwei Tagen wieder auf Millford Hall vorsprechen. Was
ist das für ein gewissenloser, verrohter Charakter? Vergreift
sich auf die abscheulichste Weise an einem Kind und hat die Stirn, an
den Ort seiner Untaten zurückzukehren! Ich kann nicht begreifen,
wie Lady Millford sich mit einem solchen Menschen abgeben kann.«
» Sie
ist interessiert an seinem Titel und seinem Geld, nehme ich an«,
sagte Charlotte leise.
» Und
deshalb will sie, dass Sie zugegen sind, wenn er Millford Hall
besucht, wie Sie mir berichtet haben?«
Charlotte
nickte stumm.
» Ich
verstehe!« Banning strich gedankenvoll mit der Hand über
die Lehne seines Sessels und runzelte dann die Stirn. »Das ist
schlimm, sehr schlimm!«
Es
kam keine Antwort.
Er
sah die junge Frau mit großem Ernst an: »Sie müssen
es Lady Millford berichten. Das ist Ihre Pflicht.«
Charlotte
reagierte entsetzt. »Sie würde es nicht verstehen.«
» Das
kann ich mir nicht vorstellen. So gefühllos kann selbst diese
Frau nicht sein.«, gab Banning zu bedenken.
Charlotte
wünschte von Herzen, dass es so wäre, obwohl ihr ihre
Erfahrung etwas anderes sagte. Aber sie hatte ohnehin keine andere
Wahl. Wo sollte sie sonst hin? Auf Dullham Manor konnte sie nach dem,
was zwischen John und ihr vorgefallen war, auf keinen Fall mehr
bleiben. Sie musste zurück: wegen John, wegen Emmy, wegen ihres
Onkels, der sich nach ihr sehnte und nicht zuletzt, weil sie sich dem
strikten Befehl ihrer Tante nicht länger widersetzen durfte. Es
blieb ihr nichts anderes übrig. Sie musste Lady Millford über
Terencys Untat aufklären, nachdem sie Emmy in Sicherheit
gebracht hatte. Mrs Sooner musste dabei aber, so irgend möglich,
aus der ganzen Sache herausgehalten werden.
Tapfer
nickte sie: »Gut, ich werde es ihr sagen!«
» Recht
so, mein Kind!«, Banning lächelte zuversichtlich, »Sie
sind eine sehr mutige junge Frau und von beachtlicher charakterlicher
Stärke. Sie werden es schaffen!«
Es
war schmeichelhaft, dass er so von ihr dachte, aber Charlotte fühlte
sich bei der Vorstellung, nach Millford Hall zurückzukehren,
alles andere als mutig. Doch es gab keinen anderen Weg. Sie wagte es
nun nicht mehr, Dr.
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