Pforten der Nacht
auf Holz als geeignetes Material für sein Chronometer verfallen war. Dann allerdings war ihm schleierhaft, weshalb er nicht schon früher darauf gekommen war. Holz war leicht, überall zu haben, damit billig, und einfacher zu bearbeiten. Zwar stieß er mehr als einen kräftigen Fluch aus, bis er endlich das Werkzeug beisammen hatte, und erst recht, bis das Räderwerk fertig geschnitzt und zurechtgefeilt war. Das Zifferblatt mit dem Stundenzeiger war dann nur noch eine Kleinigkeit für ihn gewesen. Und die geflochtene Schnur, die über ein Rad mit aufgerauter Rille lief, ebenfalls. Nun, endlich, war vermutlich auch das entsprechende Gewicht gefunden, das als Antrieb noch gefehlt hatte.
Die Sonne stieg höher. Guntram begann zu schwitzen und sehnte sich nach einem kühlen Bier. Außerdem begann sein Magen hungrig zu rumoren. Auf Hillas lausiges Mittagessen allerdings hatte er keine Lust. In letzter Zeit machte sie sich noch weniger Mühe als früher, stellte ihnen sogar am Feiertag Kutteln und anderes Eingeweide auf den Tisch und knurrte, falls man auch nur wagte, dagegen aufzubegehren. Da ging er doch lieber gleich in den ›Schwan‹, für den Ursula inzwischen fast allein zuständig war.
Die Gaststube war gut gefüllt; etliche Zecher saßen vor ihren Krügen. Andere stocherten mit Holzlöffeln in irdenen Schalen. Wie immer erhellte sich ihr Gesicht, als sie ihn erblickte.
»Na«, raunte sie ihm später zu und wusste es während des Tischabwischens geschickt so einzurichten, dass ihr Busen sich ihm entgegenwölbte, »ein Besuch im Wirtshaus, und das am Tag des Herrn? Der eifrigste Kirchgänger scheinst du ja nicht gerade zu sein!«
Sie lachte und steckte sich eine widerspenstige Strähne hinters Ohr. Ihr Haar war noch so weißblond wie früher, die Augen ebenso schräg und schwarz, aber sonst erinnerte nur noch wenig an die elende kleine Bettlerin von damals. Das Gesicht war oval und eigensinnig, mit beherrschten, hellen Lippen und einem spitzen Kinn, das sie gern aufsässig reckte. Ursula war inzwischen ausgewachsen, wenn auch keine große Frau, hatte schlanke, biegsame Glieder und volle, hochsitzende Brüste, die sie ungeniert zur Schau stellte. Die Taille betonte ein nachlässig geschnürtes Mieder; beim Gehen bewegte sie ihre Hüften einladend.
Er hätte wetten mögen, dass sie ihre Jungfernschaft schon längst verloren hatte - in aller Heimlichkeit. Wagte aber einer ganz öffentlich, ihr zu nah zu kommen, fuhr sie ihn an wie eine zornige Katze, die ihre Krallen ausfährt. Einzig Guntram gegenüber war sie überraschend sanft und entgegenkommend. Manchmal drückte sie sich beim Vorbeigehen in dem engen Färberhaus so fest an ihn, dass er jede Rundung spüren konnte. Hätte er Anstalten gemacht, er hätte sie schon mehr als einmal haben können, das wussten beide, ohne es jemals ausgesprochen zu haben. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab und ließ ihn mürrisch zurück in den Schuppen schlurfen, wo er im Sommer wohnte. Außerdem gab es in der Schwalbengasse für ein paar Münzen mehr willige Dirnen, als ein einzelner Mann überhaupt besteigen konnte.
»Es gibt die, die sich ihre Knie lieber auf Kirchbänken abwetzen, und die, die arbeiten müssen«, gab er absichtlich harsch zurück. »Erst recht am Tag des Herrn. Weil gewisse Leute sie an den anderen Tagen bis aufs Mark ausquetschen. Bring mir lieber einen Krug Bier und etwas Anständiges zu essen, anstatt neunmalkluge Reden zu schwingen!«
Sie lachte wieder, als hätte er etwas besonders Lustiges gesagt. »Wäre geschmorter Hammel mit Bohnen recht?« Ursula spitzte einladend die Lippen. »Du kannst zur Stärkung auch noch etwas von meiner speziellen Kapaunbrühe haben, wenn du willst. Die, von der sonst niemand etwas abbekommt.«
»Spar dir die Mühe. Ich fresse das, was die anderen auch fressen«, erwiderte er grob. Ihr unverhohlenes Gebalze ließ ihn heute ärgerlich werden. »Und mach schnell. Sonst verdurste und verhungere ich noch!«
Sichtlich gekränkt stolzierte sie in Richtung Küche und war schon kurz danach mit dem Bestellten wieder zurück. Guntram aß hastig, schlürfend, und wischte die Schale mit reichlich Brot sauber. Dazu trank er zwei Krüge Bier, ebenfalls nicht gerade gemächlich. Erst beim dritten ließ er sich Zeit. Ein Kartenspiel mit anderen Zechern schlug er barsch aus. Schweigend saß er da, während sich seine Züge abwechselnd verkrampften und dann wieder entspannten, als führten sie einen inneren Kampf, bei dem der Sieger
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