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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ist wie die allerfeinsten Himmelspantoffeln? Da wird es Euch hier bei uns im engen Köln vielleicht gar nicht mehr recht gefallen!«
    »Es ist in der Tat vieles auf einmal ungewohnt«, erwiderte Esra vorsichtig. »Ich muss mich erst langsam wieder an die hiesigen Sitten gewöhnen.«
    Sie plauderten eine Weile, es gab Fragen, Antworten, Gegenfragen, ein wenig höfliches Gelächter. Das Wichtigste freilich ließ er unerwähnt: dass ihn einzig und allein die Sehnsucht nach Anna hergeführt hatte. Er lehnte den frischen Most ab, den Ardin ihm anbot, und trank stattdessen ein paar Schluck Wasser aus einem ledernen Schlauch mit tönernem Mundstück, wie ihn Viehhirten für gewöhnlich benutzten. Dann sah er Flora zu, die kreischend die Hühner quer über den Hof scheuchte, und beobachtete Anna, wie sie einen mächtigen Dreifuß mit dampfender Hirse hinüber ins Gesellenquartier schleppte. Seine Hilfe schlug sie lachend aus.
    »Daran will ich mich erst lieber gar nicht gewöhnen«, sagte sie. Ein paar braune Strähnen waren aus ihrer Haube gerutscht; sie sah erhitzt und zum Küssen jung aus. »Sonst werde ich am Ende noch bequem und brauche demnächst einen Knecht für mich ganz allein!«
    Schon war sie erneut im Schuppen verschwunden, wo sie lautstark den zerlumpten Jungen anleitete, die Pferde richtig zu striegeln. Was blieb ihm da anderes übrig, als viel zu bald seiner Wege zu ziehen?
    Natürlich kam er zurück, wieder und wieder, so hartnäckig, dass sich Ardins Miene allmählich verdüsterte und selbst der kleine Gaukler eifersüchtige Augen machte. Jedes Mal behandelte Anna ihn freundlich, schien sich über seinen Anblick zu freuen, aber war ganz offenbar nicht geneigt, sich in ihrer täglichen Arbeit auch nur für einen Augenblick unterbrechen zu lassen. Es gab keine Chance, unbemerkt mit ihr zu sprechen, und erst recht fehlte ihm der Mut, ihr anzuvertrauen, was so schwer und so heiß auf seiner Seele lag.
    Allmählich wurde das Verlangen nach ihr zur Wahnidee. Er konnte die Augen nicht zutun, ohne sie vor sich zu sehen, redete mit ihr in all seinen Träumen, schlich sich nachts wie ein Dieb aus dem Judenviertel, um das Haus »zum Bogen« hungriger als jeder Wolf zu umstreichen. Bald schon kannte er ihren Tagesablauf in- und auswendig und wusste es so einzurichten, dass er ihr immer wieder scheinbar zufällig über den Weg lief. Aber auch bei diesen Begegnungen geschah niemals das, wonach er sich am meisten sehnte. Es war, als sei um die Geliebte eine unsichtbare Mauer errichtet, die sie vor seinen Gefühlsausbrüchen schützte. Und er hatte nicht die leiseste Idee, wie er sie bezwingen sollte.
    Die einzige Möglichkeit dazu schienen ihm die Spaziergänge entlang am Fluss, die sie ab und zu mit der Kleinen unternahm, wenn das Tagwerk im Gerberhaushalt erledigt war. Einer der Gesellen hatte Flora einen ledernen Ball zusammengeflickt, den sie wie ihren Augapfel hütete. Wenn Anna ihn ihr wegnahm und spielerisch wieder zuwarf, juchzte sie vor Vergnügen und wurde nicht müde, ihn quietschend zurückzuschießen. Zweimal hatte er schon heimlich dem fröhlichen Treiben zugesehen, und jetzt, beim dritten Mal, war er entschlossen, die Gunst der Stunde für sich zu nutzen.
    Die Sonne stand schon tief, als Anna und Flora sich nach dem Spielen lachend ins Gras fallen ließen und er aus seinem Versteck hinter den Büschen trat. Der Abend war mild, bald schon würden die ersten Mücken im Unterholz tanzen. Zu seiner Verwunderung schien Anna nicht einmal erstaunt, ihn hier zu sehen. Unbefangen wandte sie sich ihm zu, und er konnte sich am Spiel des späten Lichts auf ihrer leicht gebräunten Haut kaum sattsehen. Die Haube lag längst irgendwo im Gras; in halb aufgelösten Zöpfen fiel das Haar bis zu ihrem üppigen Busen. Heute trug sie nicht das Gewand einer rechtschaffenen Gerbermeisterin, sondern war barfuß und hatte ein schlichtes, leicht verschossenes Baumwollkleid übergestreift.
    »Wollen wir schwimmen gehen?«
    Er konnte den Blick nicht lösen von ihren schlanken bloßen Armen, dem Stückchen zerrissener Spitze am Ausschnitt.
    »Wo noch nicht einmal das Pfingstfest vorüber ist? Du musst den Verstand verloren haben!«
    »Angsthase!«, neckte er sie und zog sich das Hemd dabei schon über den Kopf. »Zimperliese! Früher hätte dich so ein bisschen Kälte niemals abschrecken können. Ich gehe jedenfalls hinein!«
    »Und meine Kleine?«
    »Schläft doch tief und fest!«
    Er hatte die Wahrheit gesagt. Flora lag auf dem

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