Pforten der Nacht
froh, dass ich dieses Teufelsmaul nicht noch länger ansehen muss!«
Jan van der Hülst blieb zunächst stumm.
»Er hat mehr in seinem Hirn als manch ein Schönling«, sagte er schließlich. »Nicht uninteressant, womit er da angekommen ist. Ganz und gar nicht uninteressant!«
»Aber du hast doch gesagt …«
»Gar nichts habe ich«, unterbrach ihn der Vater scharf. »Nur einen Aufsässigen in seine Schranken verwiesen, damit er nicht zu übermütig wird. Außerdem habe ich Ähnliches bereits schon einmal in Pisa zu Gesicht bekommen, wenngleich auch weniger weit entwickelt. Die Zeit scheint mir reif für solche Apparate. Ich werde der Sache nachgehen, Erkundigungen einziehen, alles abwägen und prüfen. Dieser Brant läuft uns ja schließlich nicht davon.«
»Was willst du damit anfangen? Genügen dir die Glocken von St. Alban nicht mehr?«
»Diese Stunden gefallen mir viel besser als die kirchlichen Horen, sie sind klar, präzise, einfach und stinken vor allem nicht nach Weihrauch! Außerdem gefiele es mir, nicht nach der Kirchturmuhr schielen zu müssen, sondern stets und immer zu wissen, was die Zeit geschlagen hat, bei den Sitzungen des Schöffenkollegs, wenn der Innere Rat zusammentritt oder der Wollschläger das Werkzeug niederlegt. Sogar in den Armen einer schönen Frau, gerade da.« Er hielt inne. Sprach weiter wie zu sich selber. »Ja, die grausame, gemeine Zeit, die uns nicht danach fragt, ob sie verrinnen darf, sondern es einfach tut, bis eines Tages Meister Hein an die Tür klopft!«
Ein seltsames Lächeln lag auf seinen Zügen.
»Aber, Vater, du bist doch noch so rüstig und gesund«, protestierte Rutger. »Du kannst noch hundert Jahre leben!«
»Das will ich allerdings meinen!«, unterbrach ihn Jan. »Ums Erben müsst ihr euch noch lang keinen Kopf machen, weder du noch dein Bruder!« Grimmig musterte er seinen Sohn. »Dir allerdings stünde es besser an, nicht stets und ständig voreilig zu urteilen. Habe ich dir nicht schon hundertmal gesagt, dass man sich eine Angelegenheit erst zur Gänze anhört, bevor man eine Entscheidung trifft?«
Rutger starrte verlegen auf die Spitzen seiner Schnabelschuhe.
»Ich hoffe nur, du wirst wenigstens in deiner Ehe weiser«, fuhr der Alte fort. »Sonst sucht deine Braut womöglich bei der erstbesten Gelegenheit das Weite.« Ein anzüglicher Blick auf den feisten Bauch des Sohnes. »Und falls sie auch noch schnell dabei ist und gut im Laufen, kämst du vermutlich recht schnell in ernsthafte Schwierigkeiten.«
Rutger blieb die Antwort schuldig und sah ihn an wie ein geprügelter Hund. Voller Pein. Voller Demut.
Gestern hatten sie noch alle zusammen im Hof unter einem wolkenlosen Sternenhimmel gefeiert, musiziert und getanzt; das Skelett eines mächtigen Ochsen am Spieß über der erloschenen Glut zeugte vom ungeheuren Appetit der Hochzeitsgäste. An ihm hatten sie sich ebenso gütlich getan wie an den zahlreichen anderen Speisen, die eine eilfertige Dienerschar nach und nach aufgetragen hatte: Hasenpfeffer, Ambrosia vom Huhn mit frischen Früchten, Zicklein in goldbrauner Sauce, Porchetta nicht zu vergessen, Kapaun, Stockfisch, dazu Kuchen und Torten verschiedenster Art, Mandelkonfekt, schwarzer Nougat, kandierte Orangenschalen und was immer das Herz auch begehrte. Jetzt schnarchten die Geladenen noch in ihren Betten, schliefen ihren Rausch aus, damit beschäftigt, die Menge des Verzehrten wieder zu verdauen.
Anders Johannes. Schon im Morgengrauen war er wach, wusch sich, trank eine Schale frische Milch und sattelte sein Pferd für den Ritt nach Umbrien, froh, dass der dortige Handelspartner nach entsprechenden Botschaften Pandolfinis so zur Eile gedrängt hatte und seine Abreise daher keinen Aufschub mehr duldete. Er verließ Lucca schon im Morgengrauen, auf dem Apfelschimmel, den er am liebsten ritt, mit so wenig Gepäck wie möglich.
Unterwegs, erneut einem strahlenden Frühsommertag mit blauem Himmel und einem lauen Lüftchen entgegen, musste er immer wieder an das hemmungslose Gelage denken. Schon die Trauung Pandolfinis mit Chiara im ehrwürdigen Dom war ihm als einzige Farce erschienen. Lorenzo, der Sohn des Alten, hatte Unpässlichkeit vorgeschützt und war erst gar nicht erschienen; Margherita trug ein bemühtes Lächeln im Gesicht und versuchte, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Der Priester, fett, verlaust, ranzig riechend nach dem unvermeidlichen Schweinefett der Region, dem Olivenöl der Armen, in dem man hier viele Speisen sott
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