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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Daher verkauft der Händler doch das, was notwendig zu allen Kreaturen gehört. Und schädigt sie damit.«
    »Wenn Ihr so wollt, ja.« Guntram konnte kaum sprechen. Er verstand zwar die Worte, nicht aber ihren Sinn.
    Worauf zielte van der Hülst ab?
    »Ihr stimmt mir zu? Gut! Nun denn, dann müssten sich ja eigentlich Steine wie Menschen vor den Kaufleuten fürchten, oder?«
    Jetzt blieb Guntram stumm. Durchdringendes Ticken erfüllte den Raum. Von draußen ertönte die lustige Melodie eines Bänkelsängers.
     
    »Die Reichen ladet man zu Tische,
bringt ihnen Wildbret, Vögel, Fische.
    Es nimmt kein End mit dem Hofieren,
dieweil der Arme vor den Türen
so schwitzt, dass er bald muss erfrieren.
Doch klopft der Tod, sind alle gleich,
nur einer kummt ins Himmelreich …«
     
    Die Stimme wurde leiser, verlor sich in der Ferne. Das Ticken der Räderuhr aber blieb, gleichmäßig, unausweichlich.
    »Macht das Ding aus!«, verlangte Jan van der Hülst auf einmal. »Sofort! Ich kann es nicht länger mitanhören!« Er schlug die Hände vor sein Gesicht.
    Verdutzt nahm Guntram den Stein ab und legte alles auf den Tisch. »Ihr könnt das Chronometer jederzeit zum Stillstand bringen«, sagte er vorsichtig. »Ganz ohne Schwierigkeit. Wann immer Ihr wollt.«
    Die Hände sanken langsam nach unten. Der Moment der Schwäche schien vorbei.
    »Was wollt Ihr damit?«, stieß van der Hülst hervor, und es klang nicht mehr gequält, sondern bissig wie zuvor. »Weshalb seid Ihr wirklich hier?«
    »Ich könnte mehr von diesen Chronometern herstellen«, antwortete Guntram. Jetzt kam es auf jedes Wort an. »Eines so präzise wie das andere. Kleine, größere, einfache, aufwändige, ganz nach Wunsch. Könnte sie bauen, bemalen, von Anfang bis Ende herrichten. Aber dazu bräuchte ich Aufträge. Denn wenn ich daran arbeite, kann ich nicht gleichzeitig an den Pötten stehen. Und essen muss ich. Und mich kleiden ebenfalls.«
    »Von mir?«
    »Von Euch und anderen Eurer Gaffel.« Sein Ton wurde lebhafter. »Euer Wort könnte vieles bewirken. Oder zumindest eine gewisse Summe für den Anfang. Um die erste Strecke zu überbrücken.«
    »Haltet Ihr uns für jüdische Keuffer?«, mischte sich Rutger ein. »Dann habt Ihr Euch freilich im Viertel geirrt. Pfandleiher und Wucherer findet Ihr da drunten, in der Jerusalemsgass!«
    »Es geht mir nicht ums Borgen«, beharrte Guntram. »Wenn ich darauf aus wäre, stünde ich jetzt nicht hier. Es ist ein Geschäft, was ich Euch anzubieten habe. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Ein Geschäft also! Ihr seid doch der Bruder jener Begine, nicht wahr?« Jan van der Hülst hatte sich erhoben und war langsam näher gekommen. »Regina Brant, ein stolzes Weib, fürwahr! War sich bald schon zu gut, um weiter bei uns zu dienen. Wollte lieber selber die Herrin spielen. Nun, dazu hat sie bei ihren einfältigen Mitschwestern ausgiebig Gelegenheit.« Er lächelte böse. »Hochmut scheint bei Euch in der Familie zu liegen. Wollt Ihr deshalb kein Färbergeselle bleiben? Ich für meinen Teil war bislang mit Eurer Arbeit gar nicht unzufrieden. Ihr seid zuverlässig und wenigstens einigermaßen sorgfältig, was man beileibe nicht von allen in Eurer Zunft behaupten kann. Wenngleich Euer Schwager Windeck nicht gerade das ist, was ich einen billigen Jakob nennen würde.« Sein Ton wurde lauernd. »Weiß er eigentlich, dass Ihr hier seid?«
    »Nein«, erwiderte Guntram undeutlich.
    »Nein?« Auf dem Gesicht des Alten erschien erneut ein verschlagenes Lächeln.
    »Ich kann tun, was ich will«, begehrte Guntram auf. Das lief ganz und gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte! Aber ihm fiel nichts ein, um das Ruder zu seinen Gunsten herumzuwerfen. »Schließlich bin ich sein Geselle, nicht sein Eigentum.«
    Jan van der Hülst drehte ihm abrupt den Rücken zu und ging langsam zu seinem Lehnstuhl zurück. »Ihr dürft Euch dann entfernen«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Für heute scheint mir alles Wesentliche gesagt. Gehabt Euch wohl.«
    »Heißt das, Ihr wollt kein …«
    »Das heißt, dass Ihr gehen könnt«, fuhr Rutger ihn an. »Oder seid Ihr auf einmal taub?«
    Guntrams Kehle brannte. Er hätte schreien können, um sich schlagen, das Chronometer an die Wand schleudern. Oder direkt in eines der beiden frechen, hochmütigen Gesichter vor ihm. Stattdessen packte er sein Wunderwerk und stolperte blindlings aus der lichten Stube.
    »So ein abstoßender Kauz!«, rief Rutger hinter ihm her. »Eine echte Höllenkreatur. Bin ich

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