Pforten der Nacht
die einen nichts angehen«, maßregelte ihn Kustos. »Lasst uns lieber zum eigentlichen Thema zurückkehren und nicht bei unwichtigen Nebensächlichkeiten aufhalten.«
Thys Boysenhoils war noch immer bei der vorherigen Antwort des Benediktiners. »Und das sagst ausgerechnet du, wo dein Orden doch der erste war, der die genaue Befolgung der Horen eingeführt hat?«, wunderte er sich.
»Aber ja«, kam ohne zu zögern die Erwiderung. » Unus mundus - das Heil kommt auf uns Menschen allein durch den Sohn Gottes, der für uns am Kreuz gestorben ist. Seine Passion ist das Kernstück des Neuen Testaments: Frühmorgens beraten sich die Hohenpriester, die Kreuzigung Jesu fällt auf die dritte Stunde, von der sechsten bis zur neunten dauert die Finsternis. Am Ende der neunten Stunde stirbt der Heiland und wird anschließend ins Grab gelegt. Deshalb heiligen wir diese Stunden mit unseren Gebeten, an ihnen richten wir unser ganzes Leben aus: Matutin, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet.« Er lächelte leise. »Und alle anderen Orden sind uns zu Recht darin gefolgt.«
»Ja, sicherlich«, mischte Walram sich ein. »›Siebenmal am Tag singe ich dein Lob, und um Mitternacht stehe ich auf, um dir zu lobsingen‹, so lautet der entsprechende Psalm. Deshalb ist der klösterliche Tag ja in Gottesdienst, Meditation, Lesung, Arbeit, Mahlzeiten und Schlaf eingeteilt. Das Kloster hat seinen eigenen Rhythmus, allein schon, um sich von der Betriebsamkeit außerhalb seiner Mauern zu unterscheiden.«
Er hielt inne, spielte mit dem Rubin an seinem Finger.
»Allerdings ist die Möncherei eine harte Sache und beileibe nicht für jedermann geeignet. Nicht alle Menschen können sie aushalten, und so soll es wohl auch sein. Denn sagt man nicht: Mit wem es recht steht, dem ist’s an allen Stätten und unter allen Leuten recht? Denn wer recht dran ist, der hat Gottes Wahrheit in sich? Und wer Gott im Sein hat, der nimmt Gott göttlich, und dem leuchtet er in allen Dingen. Denn alle Dinge schmecken ihm nach Gott, und Gottes Bild wird in allen Dingen sichtbar.«
Er tippte auf die Räderuhr, die auf dem mächtigen alten Eichentisch fast wie zerbrechliches Spielzeug aussah.
»Dann würde das ja auch für dieses Chronometer Gültigkeit haben, meint ihr nicht? Außerdem Gottes Segen dazu. Und meint ihr nicht weiter, dass ein Ding wie dieses durchaus gewisse Nützlichkeiten für die Welt außerhalb der Klostermauern haben könnte?«
Die Mienen der Mönche blieben zweifelnd.
»Womöglich hat er sich das irgendwo abgeschaut«, sagte Rufus Cronen. »Ich war im letzten Winter in unserem Bruderkloster in Straßburg. Dort hat mir einer der Mönche erzählt, dass er schon lange an einem ganz ähnlichen Apparat arbeitet. Mit eigenen Augen habe ich dessen Zeichnungen und Konstruktionen gesehen. Vielleicht ist dieser Brant auf irgendeine krumme Weise an dessen Pläne gelangt und brüstet sich jetzt vor uns damit, sie seien seinem Geist entsprungen.«
Johannes Kustos schaute den jungen Mönch so strafend an, als wolle er schon im nächsten Moment erneut gegen ihn vom Leder ziehen, aber ein Blick auf den Erzbischof ließ ihn schweigen. Walrams Augen waren schon zum wiederholten Mal stier auf die kleine Nebentür gerichtet. Es schien ihm Mühe zu bereiten, sich auf das Geschehen im Saal zu konzentrieren.
»Wie ein Hochstapler ist mir der junge Färber nicht vorgekommen«, sagte er schließlich. »Zudem kenne ich ihn seit Längerem, und er hat Köln meines Wissens noch nie über die nächsten Weiler hinaus verlassen. Vergesst nicht, dass er von Geburt an wahrhaft kein leichtes Los zu tragen hatte. Was ihn anspornen mag und nachdenklicher sein lässt als andere seines Alters. Außerdem ist mir schon mehrmals zu Ohren gelangt, dass verschiedene Menschen an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit auf Ähnliches verfallen sind. Nein, ich glaube ihm. Er ist kein Dieb. Und ich nehme sein Anerbieten ernst.« Er seufzte, als ob das Schwerste noch bevorstehe. »Was jedoch noch immer nicht die Frage löst, was wir mit seinem Automaten anstellen sollen.«
Jetzt schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Schwungvoll ging er zur Tür und öffnete sie. »Einen gibt es hier in Köln, der uns dabei helfen könnte.«
Es war Bruno de Berck, der langsam hereintrat, in einer sauberen, mehrfach geflickten Kutte, barfuß, ein leises Lächeln auf den Lippen. Der Minorit nickte einmal kurz in die Runde, sah Cronen lächeln, den alten Dominikaner fast ehrfürchtig den Kopf
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