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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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hatte. Auf dem Armenfriedhof, wie Anna es sich gewünscht hatte, und nicht dem Schindanger. Natürlich war es ein einfacher Sarg gewesen, und der alte Priester, der den Segen gespendet hatte, schien erleichtert gewesen zu sein, als die kurze Zeremonie vorbei war und er wieder nach Hause, zu seinem Selbstgebrannten, zurückkonnte.
    »Das hast du allerdings Ardin zu verdanken«, sagte sie. »Hätte er nicht den Zunftmeister überredet, eine Ausnahme zu machen, wir hätten beide wohl wenig Aussicht gehabt.«
    »Er ist gut zu Euch, aber nicht der Mann, der zu Euch passt«, erwiderte Bocca heftig. »Er sollte Euer Vater sein, nicht Euer Ehemann. Ihr braucht einen, der jung ist und schön und …«
    »Das lass gefälligst mal meine Sorge sein, du Naseweis! Kümmer du dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten. Wolltest du nicht noch die Pferde füttern?«
    Jetzt nahm sie den Eimer auf und ging zielstrebig in Richtung Haustür. Bocca lief ihr hinterher und packte sie überraschend kräftig am Arm.
    »Ich wollte Euch nicht kränken«, sagte er bittend, »vergebt mir! Ihr habt so viel für mich getan. Vielleicht kommt eines Tages die Stunde, wo ich es Euch vergelten kann.« Seine Stimme zitterte leicht, weil es ihm so wichtig war. »Dann werde ich für Euch dasein, ich, Bocca, der komische kleine Gugelmann, über den alle nur lachen.«
    »Ich lache nur über dich, wenn du deine Possen schlägst, das weißt du genau! Und ich danke dir für dein Angebot. Wenn du wieder nach Köln kommst, musst du versprechen, unbedingt bei uns vorbeizuschauen.«
    Er sah sie unverwandt an, dann nickte er unmerklich. Ein Moment der Stille, großer Nähe.
    Anna berührte mit der freien Hand ganz kurz seine Wange, die heiß war und kaum weniger weich als Floras. Am Kinn sah sie den ersten dunklen Flaum sprießen.
    Bocca musste sich wahrlich nicht beeilen, erwachsen zu werden. Er würde es bald schon sein, viel zu schnell für ihren Geschmack.
    Sein erster Versuch hatte sich als Fehlschlag entpuppt, aber Guntram Brant versuchte, es sich nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Vielleicht war seine Wahl verkehrt gewesen, vielleicht der Zeitpunkt ungünstig, vielleicht aber - und das war die Ansicht, der er inzwischen am meisten zuneigte - waren diese verbockten Handwerker, unter kaum weniger engstirnigen Zunftmeistern in ihren Ämtern zusammengeschlossen, nicht die richtigen, um seine Erfindung zu würdigen. Den Gang zu seinem Schwager Hermann hatte er sich schon von vornherein erspart. Denn einer, der binnen Jahresfrist ein ganzes Haus mit nutzlosen Spekulationen verschleudert hatte, war nicht dazu geeignet, zu verstehen, was er entwickelt hatte.
    Aber auch Bertram Kesemann, der als Obermeister der gesamten Wollscherer- und Färberzunft vorstand, glotzte ihn nur schwerfällig an, als er ihm sein Chronometer vorstellte.
    »Aha«, sagte er schließlich, als Guntram mit seinem Vortrag geendet hatte, und streckte die Hand vorsichtig nach der Räderuhr aus, als könne sie schon im nächsten Augenblick zuschnappen, »und wozu genau soll das gut sein? Wo es doch schon ausreichend Sonnen- und Wasseruhren gibt!«
    »Ja, die gibt es«, lautete Guntrams ungeduldige Antwort, »aber die einen versagen in der Nacht und bei Bewölkung, und die anderen können im Winter zufrieren. Was fangt Ihr dann an? Woher sollen beispielsweise Eure Gesellen und Lehrlinge wissen, dass ihr Tagwerk beendet ist?«
    »Dafür brauchen die kein Chronometer.« Ein feistes, selbstzufriedenes Lachen. »Ihr Magen teilt es ihnen mit. Außerdem hat seit jeher der Hahnenschrei die anständigen Menschen geweckt, und wenn es dunkel wird, gehen sie zu Bett.«
    Noch immer brannte die Enttäuschung in ihm. Aber diesmal würde er sich nicht so schnell abspeisen lassen. Immerhin hatte er Jan van der Hülst dazu gebracht, ihn anzuhören. Und wenn es ihm gelänge, den reichen Kaufmann zu überzeugen, war das Nächste, das schwerste Stück seiner Wegstrecke schon geschafft.
    Trotzdem schlug sein Herz aufgeregt, als er vor dem prachtvollen Haus in der Kaufhausgasse ankam, eine Gegend, die er sonst lieber mied, schon, um keinen Spott wegen seines Teufelsmauls zu riskieren. Jan van der Hülst hatte ihn in sein Haus, nicht sein Kontor bestellt, was Guntram leicht verwunderte, aber er mochte seine Gründe dafür haben. Jedenfalls kam er sauber gewaschen und gekämmt und hatte sich von der misstrauischen Hilla sogar Hermanns einzigen Trappert ausgeborgt, das geschlossene Überkleid aus braunem Tuch, unter dem

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