Pforten der Nacht
aufgedeckt waren, die Johannes’ argwöhnischen Lehrherrn seit Langem so beunruhigten. Danach erhob sich Pandolfinis Handelspartner blass und schweigend und setzte seinen Buchhalter vor die Tür.
Nicht allerdings, ohne zuvor beim Rat der Stadt eine entsprechende Anzeige wegen Betrugs und Unterschlagung veranlasst zu haben. Dem Beschuldigten drohte die Fragstatt, die, wie Johannes gehört hatte, hier in Perugia besonders eifrig eingesetzt und besonders streng gehandhabt werden sollte. Hatte er Glück, kam er mit einer abgeschlagenen Hand davon. Allerdings würden weder er noch seine Familie jemals wieder zu den ehrbaren Bürgern der Stadt gehören. Und selbst wenn sich, was selten genug der Fall war, die Unschuld doch noch herausstellen sollte, so reichte allein die Anklage aus, um eine ganze Sippe für immer wirtschaftlich zu ruinieren.
Er fühlte sich müde und schmutzig, als er die leidige Angelegenheit hinter sich gebracht hatte. Schlief schlecht, traumlos, erwachte zerschlagen, mit steifen Gliedern. In der Herberge ließ er sich Olivenbrot und ein wenig frischen Käse servieren und trank Wasser dazu. Dann trat er hinaus ins Freie.
Was sollte er anfangen?
Zurück nach Lucca, wo Pandolfini wartete und mit ihm das Ende der Lehrzeit? Gleich nach Hause aufbrechen, ohne sich bei dem Alten noch einmal zu melden?
Während Johannes noch vor sich hinstarrte, löste sich aus dem Schatten einer Hofeinfahrt die rundliche Gestalt eines Mönchs in brauner Kutte. Langsam, fast bedächtig ging er seines Weges, das Haupt mit der Tonsur gesenkt; die bloßen Füße in einfachen Sandalen. Jener genoss das Vorrecht der vollkommenen Armut - nichts zu besitzen - und war damit der freieste Mensch der Welt.
Aus tiefster Seele beneidete er ihn. Und plötzlich wusste Johannes, wohin es ihn mit aller Macht zog. Auf einmal war die Stimme in ihm ganz laut und fordernd, die er so lange zum Verstummen gebracht hatte. Wie hatte er nur zweifeln können? Er hatte Lust, laut aufzulachen, so klar und einfach stand es vor seinen Augen.
Der Gott des Mammons hatte ihn bis nach Umbrien geführt. Seinen Tribut an ihn hatte er bis ins Kleinste und darüber hinaus entrichtet. Jetzt war es endlich an der Zeit, in der Stadt des heiligen Franziskus jenen Jesus der Liebe und Armut zu ehren, nach dem seit Langem sein ganzes Herz verlangte.
»Und, wie lautet Eure Meinung, fratres ?«
Erzbischof Walram, in einem prächtigen nachtblauen Trappert, an Saum und Ärmeln mit breiten Goldborten besetzt, drehte sich den Mönchen zu, nachdem Guntram Brant den Saal verlassen hatte, verdattert und aufgewühlt, dass der Kurfürst ihn nicht nur höchstpersönlich empfangen, sondern nach der Vorführung auch noch aufgefordert hatte, ihm die Räderuhr eine Zeitlang zu treuen Händen zu überlassen. Vier Männer sprach er mit dieser Frage direkt an, Thys Boysenhoils, den alten Dominikaner, der als Abt schon lange Jahre dem hiesigen Kloster vorstand, den Minoriten Rufus Cronen, Bruno de Bercks ehemaligen Schützling, den Benediktiner Konradus Hoven und seinen Berater Johannes Kustos, der schon während des Vortrags des Färbergesellen die Fäuste geballt hatte.
Konradus war der Erste, der sich in aller Bescheidenheit zu Wort meldete. Seine Stimme klang leise und ein wenig rau, als sei er nicht gewohnt, viel und laut zu sprechen.
»Wie und warum der Allmächtige die Welt erschaffen hat, bleibt uns Sterblichen und unserer Erkenntnis verborgen«, sagte er bedächtig. »Die Ewigkeit der Welt ist nicht zu beweisen, aber auch nicht zu widerlegen. Das Gleiche gilt von der Schöpfung, die möglicherweise ein ewiger Prozess ist.«
»Das ist richtig«, entgegnete Kustos. Sein Gesicht war hager und machte den Anschein, er habe Monate in einem Verlies zugebracht; die Augen stachen weißlich. »Und wurde von Thomas von Aquin nicht anders gesehen. Aber worauf willst du hinaus?«
»Ganz einfach«, erwiderte der Benediktiner. »Wenn Gott einen zeitlosen Plan der Welt in seinem Geist hatte, schon bevor dieser materiell verwirklicht wurde, wozu brauchen wir dann mechanische Uhren?«
»Zumal schon seit vielen Jahren in vielen Klöstern Kerzen-, Öl-, Wasser- und Sonnenuhren in Gebrauch sind!«, warf Rufus Cronen eifrig ein. »Wenngleich manchmal Klagen laut werden, dass sie umständlich zu handhaben seien und beileibe nicht zuverlässig funktionieren.«
»Ja, Klagen über Klagen, aber nur, wenn man wie du neugierig seine Ohren überall haben muss und sich ständig um Dinge kümmert,
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