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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Äste brutal kappen, bis er Harz weint und kein Tröpfchen Lebenssaft mehr in ihm fließt.« Er trat nah zu ihr, und sie bemerkte die tiefen Schatten unter seinen Augen. Was quälte ihn? Ihr eigener Schlaf war so leicht, dass ihr nicht entgangen war, wie viele Nächte er schon ruhelos umherirrte. »Oder merkst du nicht, was in dieser Stadt vor sich geht? Was sich wieder gegen uns zusammenbraut? Wenn man einmal anderswo war, spürt man erst, wie stark ihr Hass ist. Hier in Köln werden die Christen uns nicht in Ruhe und Frieden leben lassen - niemals!«
    »Ach, das geht wieder vorbei! Es hat schon immer schwierige Zeiten für uns Juden gegeben, aber …«
    Esra jedoch unterbrach sie. »Jetzt klingst du wie Jakub«, sagte er scharf. »Nicht wie Recha.«
    Damit ließ er sie stehen, vor ihren brodelnden Töpfen, in denen gedämpfter Gänsehals, gefüllte Hammelbrust, Kalbsbriespudding, Pökelfleisch und andere Köstlichkeiten für die Hochzeitsgesellschaft schmorten.
    Rechas sorgenvoller Blick aber brannte in seiner Seele. Ihn trug er mit sich, als er den Alten Markt überquerte und ins Gerberviertel einbog. Es war ihm egal, ob Ardin zu Hause sein würde, egal, ob Anna wieder unaufschiebbare Tätigkeiten vorzuschützen hatte. Er hatte sich lang genug verkrochen. Jetzt wollte, jetzt musste er endlich Gewissheit haben.
    Das Haus »zum Bogen« schien verwaist. Die Tür zur Werkstatt war geschlossen; an den Pfählen im Wasser spannten sich frisch aufgezogene Häute. Keine Spur von Pferd oder Wagen; selbst im Schuppen fand er niemanden. Schließlich fasste er sich ein Herz und pochte an die Haustür. Es dauerte eine Weile, bis die alte Hedwig öffnete.
    »Ich möchte zur Meisterin«, begann er forsch.
    Sie starrte ihn an, als sei sie schwerhörig oder begriffsstutzig.
    »Zu Anna …« Gerade noch rechtzeitig hielt er inne. »Zu Anna Ardin. Sie erwartet mich.« Eine Lüge, aber wie sollte die Alte das wissen?
    »Ist nicht zu Hause«, kam es barsch zurück. Kein Lächeln, nicht einmal ein freundliches Gesicht.
    »Und wo ist sie dann?«
    »Das fragt Ihr noch? Beim Hochzeitsfest des reichen Kaufmannssohns am Rheinufer. Bei Rutger van der Hülsts Festgelage. Da, wo die ganze Stadt zu finden ist.« Sie maß ihn abschätzig und schien sich trotz des verschlissenen Barchentkleids unwillkürlich zu recken. »Die ganze christliche Stadt.«
     
    Jetzt, wo alles fehlgeschlagen war, gab es nur noch einen einzigen Weg für ihn. Den allerschwersten. Den niemals zu gehen er sich eigentlich geschworen hatte. Aber es ging um sein Leben. Und um seine Zukunft mit Lea. Dafür war jedes Opfer recht. Die Pforten des Beginenkonvents waren Männern verwehrt, das wusste er, sogar den nächsten Verwandten. Aber glücklicherweise gab es ja noch die Apotheke, in der Regina seit einiger Zeit regelmäßig ihren Dienst tat.
    Er wartete ab, bis niemand mehr im Laden war; dann trat er rasch ein, bevor er es sich anders überlegen konnte.
    »Du?« Sie setzte ein halbes Lächeln auf, ihre Augen aber blieben misstrauisch. »Was willst du denn hier? Bist du krank? Oder ist einer aus der Familie unpässlich? Die Kinder vielleicht, Barbra, Agnes?«
    »Nein, ich bin nicht krank. Und auch sonst niemand.«
    Dabei brannte sein Schlund von den Tränen der Wut, die er bei der Absage des hochmütigen Kaufmanns hatte hinunterschlucken müssen, und seine Fäuste juckten, schlimmer noch als der nässende Schorf auf seiner Haut. Zum Glück reichten die Hemdsärmel bis über die Handgelenke. Nicht einmal der prüfendste Blick konnte entdecken, wie es wirklich um ihn stand. Am besten kam er gleich mit seinem Anliegen heraus.
    »Ich brauche Geld. Und zwar einiges an Geld, eine stattliche Summe, nicht bloß ein paar Münzen.« Er gab sich einen Ruck.
    Schlimmer als jetzt konnte es kaum werden. »Zwanzig Kölner Mark. Das müsste vorerst reichen.«
    »Zwanzig Mark?« Regina lachte, kaum weniger eingebildet als Jan van der Hülst nur wenige Stunden zuvor. »Ein kleines Vermögen! Und da kommst du ausgerechnet zu mir?«
    »Meine Mittel sind im Augenblick beschränkt«, hatte van der Hülst ihm bedeutet und mit dem Kinn vage in Richtung der Rheinwiesen gezeigt, wo er gerade die halbe Stadt freihielt. Ein Bruchteil der Summe nur, die eben vor seinen Augen verfressen und versoffen wurde - und Guntram könnte jahrelang an seinen Räderuhren arbeiten! »Deshalb muss ich schweren Herzens Abstand von Eurem Vorhaben nehmen. Als Geschäftsmann werdet Ihr sicherlich Verständnis für diese

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