Pforten der Nacht
ihren Paten in feierlicher Prozession dorthin geleitet. Recha hatte diese Aufgabe nur allzu gern übernommen; ihr zur Seite Gideon, Aarons greiser Vater. Esra und Jochem fungierten als Zeugen, die sich darüber zu vergewissern hatten, dass ein schlichter goldener Trauring vorhanden war.
Jakub ließ ein paar herzliche Worte verlauten; danach wurde ein Becher mit Wein gefüllt und der Segen gesprochen. Gideon gab ihn seinem Sohn zu trinken; Recha reichte ihn weiter an Lea als Sinnbild dafür, dass sie den Kelch des Lebens von nun an gemeinsam leeren würden.
Das Mädchen war blass und still in ihrem einfachen weißen Kleid; nur die dunkelblauen Augen leuchteten. Wieder einmal hatte sie alle überrascht. Als Jakub vorsichtig bei ihr anfragte, ob sie sich unter Umständen vorstellen könnte, irgendwann einmal Aarons Ehefrau zu werden, hatte sie kurz überlegt, dann genickt.
»Aber du kennst ihn doch kaum!«, war sein Einwand gewesen. »Meinst du nicht, du könntest es später vielleicht bereuen?«
»Hast du mir nicht erzählt, deine Ehe mit Tante Recha sei ebenfalls arrangiert gewesen?«
»Ja, das war sie, aber …«
»Und gibt es ein glücklicheres Paar als euch? Sag selber! Hast du es jemals bereut, dass du sie gefreit hast?«
»Ich? Niemals! Ich liebe sie wie am ersten Tag. Nein, mehr sogar!«
»So will ich mir euch zum Beispiel nehmen«, sagte sie nachdenklich. »Außerdem bleibt mir keine große Wahl. Das weißt du so gut wie ich. Auch wenn Recha es nicht hören möchte. Wenn Aaron mich zum Weib begehrt, bin ich einverstanden. Ich sehne mich nach einem eigenen Heim.« Sie hielt einen Moment inne. »Und nach Kindern.«
Aaron hatte von Esra den Ring empfangen und ihn Lea an den Zeigefinger der rechten Hand gesteckt.
»Mit diesem Ring bist du mir anvertraut nach dem Gesetz Mose und Israel.«
Die Ketubba wurde verlesen, einige Psalter gesungen, dann kamen die sieben weiteren Segnungen der eigentlichen Hochzeitszeremonie. Lea errötete leicht, als Gottes Befehl an Adam und Eva zur Sprache kam, fruchtbar zu sein und die Erde zu füllen. Dann ertönte unter den Schuhen Aarons das Geräusch von splitterndem Glas, um selbst jetzt, im Moment größter Freude, die Erinnerung an Zion und Jerusalem wachzurufen.
Alle umringten die Vermählten und äußerten ihre Glückwünsche. Recha weinte vor Glück und griff immer wieder nach Jakubs Hand.
»Jetzt ist der Wolf besiegt«, flüsterte sie ihm zu. »Endgültig! Jetzt kann er unser Hindele nicht mehr reißen. Jetzt ist mein Kind in Sicherheit.«
Esra schloss seine Schwester in die Arme und küsste sie. Anschließend umarmte er den neuen Schwager und klopfte auf seine Schulter.
»Wenn du sie nicht glücklich machst, dreh ich dir höchstpersönlich den Hals um«, sagte er, und Aaron strahlte bei seinen Worten.
»Dazu wirst du niemals Gelegenheit haben«, sagte er. »Das verspreche ich dir bei meinem Leben.«
Danach zog sich das junge Paar, das seit Sonnenaufgang streng gefastet hatte, in einen stillen Raum zurück, um dort die erste gemeinsame Mahlzeit einzunehmen. Später würden sie zu den anderen stoßen, für die in Jakubs Haus festlich aufgedeckt war.
»Wo gehst du hin?«, fragte Recha, als Esra an ihr vorbei zur Küchentür ins Freie wollte. Dinah und Beth, die ihr bei den Vorbereitungen zur Hand gingen, schickte sie einen Moment hinaus.
»Zu den Lombarden in die Mühlengasse«, wich er aus. »Ich muss noch etwas Wichtiges besorgen. Etwas, das keinen Aufschub duldet.«
»An diesem Tag?«
»An diesem Tag«, bekräftigte er. Sein Blick war unruhig, und es ging etwas Flackerndes von ihm aus, das ihr Angst machte.
»Du wirst uns bald wieder verlassen, nicht wahr?«, sagte sie. Jetzt war es heraus, was sie seit Wochen nicht auszusprechen gewagt hatte. Aber jetzt, nach Leas Rettung, besaß sie den Mut dazu. »Vielleicht sogar für immer? Und es heißt, die Tochter von David del Ponte sei lieblich und klug. Noomi ist ihr Name, richtig?«
»Noomi, ja.« Er klang sehr eilig. »Möglich. Gut möglich sogar! Und am liebsten würde ich euch alle mit mir nehmen. Man kann anders leben in Venedig, Tante, ganz anders. Du würdest es spüren, sofort, wenn du deinen Fuß nur einmal in diese Stadt gesetzt hättest.«
»Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr.« Sie lächelte, obwohl ihr Herz bei seinen Worten schwer wurde. Nichts hätte sie lieber getan, als seine Kinder auf ihren Knien zu wiegen.
»Besser ihn verpflanzen als fällen, meinst du nicht? Und alle seine
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