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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Gottes, betete Bela stumm, während das feierliche Lied langsam verklang, bitte für uns! Warum aber nimmst du dich uns Frauen nicht mehr an? Wieso dürfen sie uns treten, missachten, nach Herzenslust quälen? Nur weil sie Männer sind? Dabei hat doch dein Leib den Gottessohn geboren, deine Brust ihn genährt, dein Schoß ihn aufgenommen, als er klein und nach Trost und Schutz verlangte. Als Dank hat er sich später von dir losgesagt, seine Wunder gewirkt und dir mit seinem Tod größere Schmerzen bereitet als je ein Sohn seiner Mutter zuvor. Ist das der unabänderliche Lauf der Welt? Dann will ich froh sein, wenn ich bald sterben darf.
    Es kostete sie Mühe, gegen die grelle Sonne zu blinzeln. Und noch mehr Mühe, gerade zu stehen. Am liebsten hätte sie sich die unbequemen Kleider vom Leibe gerissen und sich auf der Stelle in ihrer Kammer vergraben. Eine seltsame, weiche Bewegung in ihrem Bauch ließ sie aufhorchen. Wie die feinen Fühler eines Insekts. Schmetterlingsflügel. So lange hatte sie sie nicht mehr gespürt! Sie musste es sich eingebildet haben.
    Außerdem war es unmöglich. Ausgeschlossen!
    Und all die Anzeichen? Die Übelkeit, der Ekel, die Mattigkeit? Von ihr über Wochen und Monate als untrügliche Zeichen gedeutet, dass ihr Frauenleben bald ganz beendet sein würde! Dass sie künftig eine Greisin sein sollte, verbraucht und abgeschrieben.
    Die Bewegung wiederholte sich. Stärker als zuvor. Eindeutiger. Nein, das konnte, das durfte nicht sein! Ein Kind in ihrem Leib, jetzt, wo alles zwischen Jan und ihr endgültig verpestet und verdorben war?
    Fieberhaft begann sie zu rechnen. Wenn sie die Monate berücksichtigte, seine Besuche in ihrer Kammer und die freche, schamlose Art, wie er sich ihr genähert hatte, als sei sie nicht seine angetraute Ehefrau, sondern eines seiner wollüstigen Weiber...
    Sie schloss die Augen. Sie war schwanger. Sie trug sein Kind! Bela warf ihm einen eisigen Blick zu. Jan dagegen schien bester Stimmung.
    »Auf zum Fluss, Verwandte, Freunde, Nachbarn, Mitbürger«, rief er und klang so vergnügt dabei, als sei es seine eigene Hochzeit. »Das Festmahl wartet auf euch! Wir haben genug zu essen und zu trinken für mindestens drei Tage und drei Nächte!«
    Sie brauchte Zeit, Zeit zum Nachdenken und Überlegen! Hier war weder der Ort noch die Stunde, um irgendjemandem etwas von ihrer Entdeckung kundzutun. Inzwischen war sie so gut wie sicher. Auch ohne die Untersuchung durch die Hebamme, die ihr nur bestätigen würde, was sie ohnehin wusste.
    Sie zwang sich zu einem gleichmütigen Gesicht und ließ sich von Jan zu den Herrenbergs führen. Als Bela gerade in den festlich geschmückten Karren steigen wollte, in dem schon Veronikas Vater und seine Frau Martha Platz genommen hatten, fiel ein Schatten auf sie.
    Überrascht sah sie hoch.
    Vor ihr stand Johannes, in der braunen Kutte der Minderbrüder, voller Staub, mit rasiertem Kopf und so abgemagert, als sei er einem langen, gefährlichen Krankenlager nur mit Mühe entronnen.
    »Johannes!« Ihr schwindelte. Sie drohte ohnmächtig zu werden. Tausend wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Hatte die Gottesmutter sie erhört? Ihr ein Leben geschenkt, um ihr ein anderes wegzunehmen? Das Kind, von dem niemand etwas ahnte. Und jetzt auch noch Johannes, ein Mönch? Datini - wieso hatte er nichts davon erwähnt?
    Gerade noch rechtzeitig fing Johannes sie auf und half ihr, nach ein paar Augenblicken der Erholung das Gefährt sicher zu erklimmen.
    »Wir müssen reden!«, stieß sie hervor. »Wo warst du? Wo kommst du her? Wieso hast du Lucca erst so spät verlassen? Ich will alles wissen, alles, hörst du? Und außerdem lasse ich dich niemals wieder fort, nie wieder, verstehst du?«
    Da war ein unbestimmtes Lächeln auf seinen Zügen, das sie niemals zuvor gesehen hatte. Es ließ ihn älter wirken, weise, beinahe verklärt. Dann verschwand es wieder, und das Gesicht ihres Jungen kam zurück, dessen, den sie mehr als alles liebte.
    »Ich weiß, Mutter«, sagte er ruhig, »sei unbesorgt, was immer auch geschehen mag. Wir sind alle in Gottes barmherziger Hand. Er ist unser Haus, unser Schutz, unser Schirm. Er allein.«
     
    Natürlich war die Hochzeit nicht die günstigste Gelegenheit, van der Hülst wegen des Chronometers zur Rede zu stellen, aber Guntram war es leid zu warten. Vor allem, seitdem vor einigen Tagen Johannes Kustos höchstpersönlich in die Werkstatt gekommen war. Er hatte von einem großen Auftrag gefaselt, direkt aus dem

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