Pforten der Nacht
Palast des Erzbischofs, war dann jedoch in allen Einzelheiten so unbestimmt geblieben, dass niemand sich einen Reim darauf machen konnte. Auch auf konkretes Nachfragen hin druckste er herum, bis Hermann die Geduld verlor und nach hinten ging, um ein paar Muster zu holen. Aber selbst damit war der Minorit nicht zufrieden.
»Ich muss sicher sein, dass die Purpurqualität wirklich stimmt!«, beharrte er. »Der Erzbischof legt allergrößten Wert darauf! Kann ich nicht mehr zu sehen bekommen?«
»Wenn es unbedingt sein muss! Aber dann müsst Ihr etwas Geduld aufbringen. Ich werde hinüber zum Blaubach gehen und Euch eigenhändig den Stoff für das Messgewand des Kardinals holen, den wir gerade frisch gefärbt haben. Ein Meisterwerk, in aller Bescheidenheit! Makellos gelungen. Wenn Euch das nicht überzeugt, weiß ich auch nicht weiter!«
»Ich fürchte, ich muss diesen Stoff sehen!«
Hermann war kaum aus der Tür, da öffnete Kustos seinen mitgebrachten Beutel. In diesem Augenblick wusste Guntram bereits, was es zu bedeuten hatte. Arme und Beine wurden schwer, alles Blut schien aus seinem Kopf zu strömen. Er fühlte sich so schwach, dass er kaum noch aufrecht stehen konnte.
»Weshalb?«, brachte er nur hervor und gönnte seinem abermals verschmähten Wunderwerk nur einen wunden Blick. »Aber der Erzbischof war doch so angetan davon! Was gefällt ihm denn auf einmal nicht mehr daran?«
»Der Mensch soll sich keine Macht über die Zeit anmaßen«, entgegnete Kustos belehrend. »Denn sie ist allein das Eigentum Gottes.«
»Aber schlagen nicht die Glocken jede Stunde, hoch oben am Kirchturm, also dem Hause Gottes? Weshalb sollte mein Chronometer dann weniger wert oder weniger nützlich sein?«
Guntrams Stimme klang rau. Nur mühsam rang er um Fassung. Die Frage, warum der hohe Herr sich dann überhaupt so lange Zeit zum Überlegen genommen hatte, wagte er nicht zu laut zu stellen.
»Versteig dich nicht zum Urteil über Dinge, von denen selbst klügere Köpfe als du einräumen, dass sie ihren Horizont überragen! Gott, der Herr, hat das Firmament erschaffen aus Licht und Zeit und uns damit eine köstliche Uhr geschenkt, die niemals fehlgeht. Sie mag uns genügen, so wie sie schon unseren Vorfahren seit Anbeginn aller Zeiten genügt hat.« Es schien ihm regelrecht Spaß zu bereiten, ihn zu foppen und zu maßregeln.
Guntram hatte gerade noch Gelegenheit, seine Räderuhr mitsamt Filz in einem leeren Waidfass verschwinden zu lassen, bevor Hermann mit dem gefärbten Purpurstoff zurückkam. Dass der Mönch sich eiligst verabschiedete, ohne eine Bestellung aufzugeben, wunderte Guntram kaum.
Umso wichtiger war es, dass er heute siegte!
Natürlich war er auch vor dem Dom gewesen, hatte all das Gepränge mit angesehen, die Hochzeitsgäste, die Karren, die Rösser und die vielen Schaulustigen, die sich eingefunden hatten. Nicht einmal das Eintreffen des schmutzigen, mageren Mönchs war ihm entgangen. Er beschloss, einen Abstecher ins Gerberviertel zu machen und Anna von Johannes’ wundersamer Wiederkehr zu berichten, bevor er hinunter zum Fluss ging, wo die Hochzeitstafel gedeckt war.
Zu seiner Überraschung blieb sie ganz stumm, als er ihr beinahe beiläufig davon berichtete. Nur ihre Augen gingen auf, wurden groß und dunkel. Wie immer spielte die Kleine zu ihren Füßen. Zwischendrin zog sie das Kind auf ihren Schoß und presste es fest an die Brust, als liefe sie Gefahr, es zu verlieren. Flora strampelte energisch und wollte wieder nach unten, zu ihrem Ball.
»Gehst du auch hin?«, fragte er Anna, schon halb im Gehen. »Es heißt, jeder sei eingeladen. Keiner werde abgewiesen. Essen und Trinken für alle im Überfluss.«
»Ich?« Sie schüttelte so vehement den Kopf, dass die Bänder ihrer Haube flogen. »Was hätte ausgerechnet ich bei dieser Hochzeit verloren?«
Etwas in ihrem Ton machte ihn stutzig, aber er hatte es bald wieder vergessen. Er strich Hemd und Wams glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Dann machte er sich auf seinen Weg zum Rheinufer, wo er endgültig das Glück für immer auf seine Seite zwingen würde.
Die Chuppah war vor der Synagoge aufgebaut, ein Baldachin aus roter Seide, der im strahlenden Sonnenschein schimmerte und als Symbol für das Dach des neuen Hauses galt, das das junge Paar zu gründen beabsichtigte. Die ganze Gemeinde war auf den Beinen, denn Hochzeiten galten in diesen schweren Zeiten als willkommene Abwechslung von allen Sorgen. Braut und Bräutigam wurden von
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