Pforten der Nacht
deine Sache und geht mich nichts mehr an. Ich bin frei von dir, Johannes. Ich wünschte allerdings, ich wäre es schon früher gewesen. Dann hätte ich mir viel Leid ersparen können. Und mein Leben wäre anders verlaufen.«
Johannes blieb regungslos stehen, ohne ein Glied zu rühren. Anna auch. Für einen Moment sahen sie aus wie Liebende, im Begriff, miteinander zu verschmelzen. Zu einer Haut. Zu einem Fleisch. Zu einer Seele.
So wenigstens sah es für Esra aus, der gerade den Festplatz betreten hatte. Er versuchte weiterzugehen, als er sie so eng zusammen sah, wie er sie auch früher zusammen gesehen hatte, und ein gleichmütiges Gesicht aufzusetzen, als sei nichts geschehen. Seine Füße aber wollten ihm nicht mehr recht gehorchen. Wie ein alter, kranker Mann schleppte er sich weiter.
Johannes, wieder und wieder Johannes!
Damals wie heute. Es würde niemals ein Ende nehmen. Ob Mönch, ob Laie, ob Kaufmann, ob Bettler, es spielte keine Rolle. Für ihn gab es keine Chance. Anna liebte Johannes und würde ihn ewig lieben, mochte sie auch dem Gerber angetraut sein oder sich aus Versehen von einem törichten Juden im hohen Sommergras gnädig umarmen lassen. Es gab nichts mehr zu reden, nichts zu zaudern.
Seine Entscheidung war unumstößlich. Schon am nächsten Morgen würde er Köln für immer verlassen.
Als Regina die Tür zum Beichtstuhl aufstieß und sich keuchend auf die harte Bank kniete, blieb die junge Frau überrascht am Ende der Kirchbank stehen. Das war doch sie, die hochmütige Begine, Guntrams Schwester, die kein Wort mehr mit ihr wechselte, seitdem sie Hermann ihr kleines Geheimnis verraten hatte und sich so rar bei den Windecks machte!
Ursula zog das Tuch fester um die Schultern und trat langsam näher. Zuerst hörte sie nur Murmeln und ersticktes Weinen. Sie sah sich um, wagte ein paar Schritte mehr. Das Kirchenschiff war leer. Niemand konnte sie beobachten. Schon die ersten klar verständlichen Worte ließen sie aufhorchen. Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, kam sie näher und näher, bis sie fast mit der Nase an das samtbespannte Gehäuse stieß.
»… offen sei dein Herz, offen seien deine Lippen, auf dass du deine Sünde aufrichtig bekennst.« Die Stimme des Priesters war tief und ruhig. »Fasse dich, meine Tochter, keine Sünde ist so schwer, dass sie nicht bei echter Reue vergeben werden könnte. Die Liebe des Herrn ist grenzenlos und seine Gnade nicht minder.«
»In Reue und Demut bekenne ich meine Sünden …« Die Frauenstimme erstarb. »Ich wollte zu einem anderen Beichtvater, wollte niemals, dass du es erfährst, Bruno. So lange hat die Scham mich stumm gemacht. Aber nun gibt es den Schutz dieses Gitters, das mein Gesicht verbirgt, und du sollst es erfahren, alles, ja, du musst wissen, wer ich bin!«
Regina schneuzte sich heftig. Eine Zeit lang war nur ihr unruhiger Atem zu hören, dann hob sie abermals zu sprechen an.
»Ich habe ihm Unrecht getan, bitteres Unrecht, von Anfang an. Schon in meinem Leib habe ich ihn gehasst, ihm den Tod gewünscht und mir dazu. Und als ich ihn dann geboren hatte und sah, welch grausames Spiel der Teufel mit uns getrieben hatte, wollte ich nur noch, dass er …«
Sie begann wieder bitterlich zu weinen.
»Erleichtere dich«, sagte der Priester. »Lass dir Zeit. Manchmal hilft es, wenn man sich alles von der Seele redet.«
»Zeit?« Sie lachte grell auf. »Dreiundzwanzig Jahre sind seit jener Geburt vergangen, und noch immer ist es so schlimm wie am allerersten Tag!« Regina schien erneut um Fassung zu ringen. »Ich will von Anfang an beginnen«, sagte sie. »Einmal muss die schreckliche Wahrheit, die meine Seele vergiftet, ja an den Tag. Warum dann nicht heute? Ich weiß nicht, ob ich noch einmal den Mut habe, sie auszusprechen.«
»Ich höre«, ermunterte sie de Berck. »Sei tapfer und rede!«
»Es fing an, als ich heranwuchs, mich rundete, zur Frau wurde. Da waren die Blicke meines Vaters, seine Berührungen, seine Redensarten. Das Haus war eng, die Werkstatt nicht minder, aber Niklas Brant, ein Wollenweber, angesehen und beliebt in der Zunft, wusste es so einzurichten, dass wir doch immer wieder alleine waren. Sophie hat er nie angefasst, die war ein Engel für ihn. Ich aber war der Teufel. Der ihn quälte, ihn versuchte. Zum schieren Wahnsinn trieb, wie er mir gestand. Er schlug mich, misshandelte mich, gab mir kaum zu essen. ›Sünde - dein Name ist Weib!‹ Sein gotteslästerliches Fluchen habe ich bis heute im Ohr.«
Das Holz
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