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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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getrunken hatte. Und er trank wieder, setzte den Krug an und ließ in seinen Mund laufen, so viel er aufnahm.
    »Was hast du?«, fragte sie besorgt. »Was ist sonst noch Furchtbares geschehen?«
    »Manchmal kann die Wahrheit allein schon fürchterlich genug sein«, sagte er. Und dann erzählte er ihr, was ihm Jakub und Recha gestern enthüllt hatten. Dass der Name seiner Mutter Maria gewesen und sie eine Christin war, bevor sie aus Liebe zu Simon zum Judentum übergetreten war. Dass es kein Raubüberfall war, der ihr Leben gekostet hatte, wie sie ihn immer glauben gemacht, sondern ein Racheakt empörter Glaubensgenossen, weil sie ihre christliche Religion so schmählich verraten hatte.
    Anna blieb eine Weile still. Dann sah sie ihn lange an.
    »Wieso ausgerechnet jetzt?«, fragte sie. »Warum haben sie so lange geschwiegen und kommen erst jetzt mit allem heraus?«
    »Weil sie uns schonen wollten, solange wir klein waren, und nicht verwirren. Nun freilich aber haben sie schreckliche Angst um mich und Lea«, sagte er. »Sie befürchten, dass unser aller Leben in Gefahr ist. Und nun hoffen sie, uns mit dieser Entdeckung retten zu können. Du kennst unsere Sitten und Gebräuche nicht so gut, Anna. Nach jüdischem Recht ist nur der Jude, den eine jüdische Mutter geboren hat. Das gilt für uns beide, für Lea und mich.« Er machte eine unbestimmte Geste. »Für sie hat sich nichts geändert. Sie ist die Frau eines Juden. Sie trägt sein Kind. Sie sagt, sie kennt keinen Zweifel. Sie weiß, wohin sie gehört. Aber ich? Was soll jetzt mit mir werden?«, fragte er leise. »Was bin ich nun - Jude oder Christ? Ich weiß es nicht, Anna! Ich weiß gar nichts mehr!«
    »Das, was du in deinem Herzen fühlst«, erwiderte sie bestimmt und wischte ihm die Tränen weg. »Außerdem bist und bleibst du das, was du immer gewesen bist: Esra, Simons Sohn, mein bester Freund, seitdem ich denken kann.«
    »Nur ein Freund?«
    »Du kennst die Antwort«, wiederholte sie seine Worte von neulich. Es klang zärtlicher als jede Liebeserklärung.
    Erstaunt fuhr er auf. »Aber wieso hast du mich dann erst neulich weggeschickt …«
    »Sei still!«, sagte sie schnell und legte beschwörend den Finger auf seine Lippen. »Ich gehe jetzt schwimmen. Und was ist mit dir?«
    Sie stand auf, lief zum Wasser und zögerte einen Augenblick. Dann streifte sie sich das lästige Unterkleid über den Kopf und ging nackt in den Fluss. Er folgte ihr augenblicklich, riss sich Hemd und Hose vom Leib und schwamm ihr nach. Sie ließen sich treiben, sahen, wie die Sträucher und Bäume am Ufer vorbeizogen, dann versuchten sie, gegen die Strömung zu schwimmen, und wurden schnell müde, weil sie stärker war, als man bei dem niedrigen Wasserstand vermuten konnte. Schließlich fanden sie eine Trauerweide, deren Zweige tief in die Fluten hingen, hielten sich fest, spürten, wie die Wellen sie kosten.
    Auf einmal war er hinter ihr, spürte ihren Rücken, ihre weichen Hüften, ihr rundes Gesäß. Seine Traurigkeit wich. Liebe und wachsende Erregung überfluteten ihn. Er berührte ihre Brüste, die Spitzen, die in seinen kosenden Händen ganz hart wurden.
    »Wie die Flussnixe«, flüsterte er in ihr nasses Haar, »so schön und verführerisch. Und wenn du mich ganz tief auf den Grund ziehst und ich in deinen Armen sterben müsste - mich kümmert es nicht! Ich möchte dich lieben, Anna. So, wie ich dich tausendmal in meiner Vorstellung geliebt habe. Und wenn es nur dieses einzige Mal wäre!«
    Sie drehte sich langsam um, schmiegte sich fest an ihn. Ihre Lippen fanden sich.
    »Küss mich, Esra«, sagte sie leise.
    Und er tat es, bis ihr Atem schneller wurde.
    Gemeinsam schwammen sie zum Ufer, krochen aus dem Wasser und fanden sich wieder, kaum, dass sie festen Boden erreicht hatten. Kein Windhauch war mehr zu spüren; die Luft stand still, noch immer aufgeheizt von der Glut des Tages, die nicht weichen wollte. Das Gras war warm wie ein Teppich. Halme und zerdrückte Blumen verfingen sich in ihren Haaren, als sie sich erwartungsvoll auf den Rücken legte und er zwischen ihre Beine kam, wie in all seinen sehnsuchtsvollen Träumen. Als sie ihn aufnahm und er sich in ihr bewegte, so sicher und freudig und lustvoll, als hätte er ein Leben lang nichts anderes getan.
    Als sie zu einem einzigen Leib verschmolzen, der dahintrieb über die Stromschwellen dieses warmen, einzigartigen Abends.
     
    Er kam spät und er hatte getrunken. Nicht viel, aber doch immerhin mehr, als es sein an Fasten

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