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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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mehr, als dass man sie sah, wenngleich kaum eines der wenigen Möbelstücke, die noch von Reginas und Sophies Vorfahren stammten, heil geblieben war. Es stank abgestanden, nach Fäulnis, die bei Hochwasser vielen Fachwerkhäusern der Stadt anhaftete, und leicht säuerlich nach nachlässig verwahrten Lebensmitteln, die längst verzehrt gehört hätten. Außerdem bot die Ausfüllung der Gefache durch die übliche Mischung aus Lehm und Reisiggeflecht eine optimale Brutstatt für Wanzen und anderes Ungeziefer. Es gab kein unfehlbares Mittel gegen die lästigen Mitbewohner, unter denen Arme wie Reiche litten, aber immerhin ein paar wirkungsvolle Rezepturen, die das Schlimmste verhindern konnten. Zu den nässenden Schorfen jedenfalls, die Regina an Hillas prallen Armen und dem schmutzigen Hälschen der Kleinen gesehen hatte, musste es bei ein bisschen Sorgfalt nicht kommen. Sie nahm sich vor, Anna bei ihrem nächsten Besuch wieder reichlich mit dem wirkungsvollen Nelkenöl einzudecken, das die Beginen selber herstellten.
    »Wann ist es denn diesmal so weit?«, fragte sie einigermaßen höflich, ohne sich jedoch besonderen Zwang anzutun. Eigentlich war Hilla ununterbrochen schwanger, wenngleich sie in all den Jahren bislang nur zwei gesunden Mädchen das Leben geschenkt hatte. Regina konnte diese grobe, blonde Frau mit dem losen Mundwerk nicht leiden und wusste genau, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, wenngleich Hilla ihr gegenüber auch auf der Hut war. Regina kannte den Grund dafür nur zu gut. Immerhin verdankten sie ihr das Haus, während sie sich mit dem Verkauf der Wollweberei und der Mühle am Duffesbach begnügt hatte, um die Mitgift für den Konvent zu bezahlen. Dabei hätte sie nach dem Testament des Vaters ebenso gut alles behalten können. Als »Blutzoll«, wie sie seine selbstherrliche Entscheidung für sich nannte.
    »Ich denke, Anfang Mai«, sagte Hilla stolz. »Diesmal wird es bestimmt ein starker, gesunder Junge.«
    »Das hoffen wir alle«, erwiderte Regina knapp und konnte sich eine Spitze nicht verkneifen. »Gebe Gott, dass unser Wunsch auch in Erfüllung geht. Denn nur kräftiger Same und beiderseitige eheliche Liebe, so lehrt die heilige Hildegard, führen zur Zeugung eines starken, schönen Knaben. Wann kommt denn meine Anna wieder?«
    »Das kann dauern! Nach dem Kochen soll sie die Gaststube fegen und anschließend die Bottiche schrubben. Ich darf mich ja schließlich nicht mehr so viel bücken.«
    »Und Hermann? Schafft er im Schuppen?«
    »Ja. Zusammen mit Guntram und den beiden anderen Gesellen. Bis zum Abend müssen sie mit dem Färben der Zwilche fertig sein, die van der Hülst bei ihnen bestellt hat. Eine widerliche Arbeit, kann ich dir sagen! Und schlecht bezahlt dazu. Während dessen Geldkatze immer praller wird, verliert mein armer Mann bei dieser miesen Entlohnung seine letzten Rücklagen. Außerdem wird sein Kreuz allmählich ganz krumm. Und nachts kann er vor Schmerzen und Erschöpfung nicht einschlafen. Dann wälzt er sich hin und her, weckt das ganze Haus auf und will am nächsten Morgen nicht aus der Bettstatt. Du siehst, nicht alle Leute haben Muße zum Beten und Lesen wie gewisse fromme Frauen, die ständig die Messe hören können.« Ihr Spott war unüberhörbar. Sie starrte Regina neugierig an. »Was willst du denn von ihm?«
    »Etwas Geschäftliches.«
    »Und weiter?« Hilla war mindestens so faul wie vorwitzig. »Ich werde ihm deine Nachricht getreulich ausrichten. Außerdem weiß ich als seine Frau ohnehin über alles Bescheid.«
    Das glaubst auch nur du, dachte Regina und unterdrückte ein Grinsen. Ich werde dir trotzdem nicht auf die Nase binden, was ich mit dem Haus in der Schildergasse vorhabe. Und dein Hermann erfährt aus meinem Mund auch nur, was ich für richtig halte. Damit er nicht wieder die nächste Gelegenheit ergreift, um alles in einem seiner sinnlosen Vorhaben zu vergeuden. Diesmal behalte ich die Zügel in der Hand. Bis Anna so weit ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
    »Das bespreche ich am besten mit ihm selber«, sagte sie laut. »Aber es eilt ohnehin nicht.« Vielleicht war es geschickter, vorerst gar nichts zu sagen. Je länger sie darüber nachdachte, desto richtiger erschien es ihr. »Es genügt, wenn wir bei nächster Gelegenheit einmal …«
    Sie brach ab. Guntram hatte soeben die Stube betreten, ihr Bruder, gerade mal drei Jahre älter als Anna. Sie zwang sich ein Lächeln ab, das er nicht erwiderte. Als er klein war, hatte er ständig

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