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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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die Lesen und Schreiben beherrschen, findest du nicht?« Regina ließ Anna nicht aus den Augen. »Deshalb habe ich dir das Alphabet beigebracht, als man dich nicht zur Schule gehen ließ. Und die wenigen anderen Dinge, die ich wusste. So gut es eben ging, mit deinem Vater, der mich dabei misstrauisch wie ein Fuchs beäugt hat, und der Maulwürfin, die dich am liebsten schon als Sechsjährige an den Herd verbannt hätte.«
    Sie seufzte. »Wäre es nach mir gegangen, dein Unterricht hätte länger und wesentlich umfassender sein sollen. Aber ich bin leider nur deine Tante und alles andere als eine Gelehrte.« Für einen Moment legte sie ihre warme Hand auf Annas exakt gezogenen Scheitel. Typisch Hilla, dass sie das Mädchen mit einem straffen Zopf und einem ausgewaschenen Kleid herumlaufen ließ, anstatt ihr beizubringen, wie man sich vorteilhafter anzog und frisierte! Sie würde ihr später die blaue Samthaube geben, die sie früher selber getragen hatte. »Also sei ruhig ein bisschen großherziger zu diesem armen Wesen«, fuhr sie leise fort. »Sie ist nicht einmal getauft. Kannst du dir das vorstellen?«
    Anna war ganz und gar nicht nach Mitgefühl zumute. Der Stachel saß zu tief. Ihr doch egal, wenn der Teufel Anspruch auf Ursulas Seele erhob - sollte sie ihretwegen gleich dutzendweise Hexenmale auf dem Körper haben und für ewig im tiefsten Pfuhl der Hölle tanzen! Wieso bekam diese Bettlerin einfach so geschenkt, was ihr trotz allem Sehnen verwehrt blieb?
    »Ich bin ziemlich sicher, du wirst auch dafür baldigst Abhilfe schaffen«, schnappte sie zurück. »Hoffentlich ist ein feierliches Hochamt gut genug!«
    Ursula hob langsam ihren Kopf, blieb aber stumm. Ihre Augen wurden schmal.
    »Und ob ich das werde!« Regina, die nichts davon bemerkt hatte, begann übermütig zu kichern. »Weißt du, dass du deinem Vater richtig ähnlich wirst, wenn du eingeschnappt bist? Dann kriegst du eine Gurkennase und Dackelfalten und siehst aus wie ein griesgrämiger Färber und nicht wie ein frisches junges Mädchen!«
    Unwillkürlich musste nun auch Anna den Mund verziehen. »Weshalb hast du mich herbestellt?« Sie klang halbwegs versöhnt. »Hilla hat schon den ganzen Morgen versucht, mich danach auszufragen.«
    »Weil ich etwas mit dir zu besprechen habe.«
    Regina Brant hatte wieder diesen trockenen Kloß im Hals. So lange hatte sie sich innerlich auf diese Unterredung vorbereitet, und nun verließ sie der Mut! Hoffentlich fand sie die richtigen Worte, genug, um die Angelegenheit überzeugend darzustellen, und doch nicht zu viel, um nichts von vergangenen Dingen zu verraten, die Anna ja doch nur verwirrt und beunruhigt hätten. Von der Seite spürte sie Ursulas stechenden schwarzen Blick. Das Mädchen konnte manchmal aber auch dreinschauen, dass man richtig Angst bekam!
    Etwas in ihr zog sich schmerzlich zusammen. Das ist nicht die Tochter, die du dir immer gewünscht hast, dachte sie bitter. Vergiss das niemals! Du hast deine Chance gehabt. Und vertan. Das Lebensrad lässt sich nicht zurückdrehen. Egal, was immer du auch anstellst.
    »Lass uns in meine Kammer gehen«, schlug sie beiläufig vor. Ursula starrte nach wie vor neugierig in ihre Richtung, aber jetzt hatte Regina Stimme und Haltung unter Kontrolle. »Ich wollte dir noch eine ordentliche Portion Nelkenöl abfüllen, damit deine kleinen Schwestern nicht so unter den Wanzenbissen und Flohstichen leiden müssen. Du hast die Fläschchen doch dabei?«
    Sie wartete Annas Antwort nicht ab, sondern zog sie ungeduldig um die Ecke. In der Sicherheit der kleinen Kemenate atmete sie auf. Plötzlich schien sie keine Eile mehr zu haben. Sie rückte für Anna den geschnitzten Lehnstuhl zurecht, weil sie wusste, dass es ihr Lieblingsplatz war, verscheuchte die Katze, die beleidigt fauchte, und setzte sich gegenüber, auf einen einfachen Hocker. Es war Nachmittag, aber noch hell genug, um sich in die Züge des Mädchens zu vertiefen, das ihr auf einmal erstaunlich erwachsen vorkam. Hie und da entdeckte sie eine Spur von Sophie, das Kinn, der Schwung der Wangen, der schlanke Hals, wenngleich alles bei ihrer Schwester lieblicher und gefälliger gewesen war. Anna war nicht das, was man landläufig schön nannte. Dafür war die Nase zu markant, der Mund zu schmal, die Stirn zu eckig. Aber sie war zweifellos etwas Besonderes mit ihren wachen, weit auseinanderstehenden Augen und dem zarten Flaum an Kinn und Ohren, der jedes Mal Reginas Herz schmelzen ließ, wenn sie ihn gegen das Licht

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