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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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überzeugen. »Weißt du, Lea, das Einzige, was unser Volk seit jeher am Leben erhalten hat, ist die Hoffnung. Verlieren wir sie, verurteilen wir uns selbst. Sie ist unser Brot, unser Honig, die einzige Möglichkeit, zu überleben.«
    Recha öffnete den Mund in stummem Protest, schloss ihn aber wieder. Was sollte sie schon anstellen gegen zwei eigensinnige Köpfe in einer einzigen Familie? Sie ließ also zu, dass Jakub persönlich zum Färberhaus ging, um die Einladung auszusprechen, und machte sich mit reichlich gemischten Gefühlen daran, das Chametz zu verbrennen und damit dem Gebot zu folgen, das letzte Restchen Sauerteig dem Pessachfeuer zu opfern. Der Duft von Reinheit, der alle Räume durchzog, und die gewohnt fröhliche Stimmung eines runderneuerten Haushalts vermochten sie nicht aufzuheitern. Seder bedeutet Ordnung, aber in Rechas Gemüt sah es alles andere als aufgeräumt aus.
    Vielleicht kommt er ja gar nicht, dachte sie, während sie das Linnen auf den Tisch breitete und die Sederschüssel füllte. Die Heilige Nacht stand bevor, auf der der besondere Schutz Gottes lag. Möglicherweise ist seine Familie dagegen, oder er hat Angst, sich bei unseren Bräuchen ausgeschlossen zu fühlen. Vielleicht hat auch Anna ihm davon abgeraten. Sie wusste selber nicht genau, ob sie erleichtert oder eher beunruhigt darüber sein sollte, dass das Mädchen seit der Fastnacht nicht mehr bei ihnen gewesen war. Denn wenn Esra nicht mit ihr zusammen war - wo in aller Welt steckte er dann?
    Sechs kleine Gefäße mit symbolischen Speisen: ein hartgesottenes Ei, Petersilie, Salzwasser, Meerrettich, ein angebratener Knochen, sowie Charoßet, jene unvergleichliche Mischung aus geriebenem Apfel, Zimt und Mandeln. Und natürlich Mazzot, die ungesäuerten Brote des Elends. Sie stellte die Becher auf und vergaß nicht, neben Jakubs Platz einen zweiten für den Propheten Elia hinzuzufügen, der im Geist der Feier beiwohnt.
    Aber natürlich kam er doch. Frisch gewaschen, das Haar noch feucht und glatt gestriegelt, in einem hirschledernen Wams, das seinen jungen, kräftigen Körper betonte, und neuen, hellen Beinlingen. Herausgeputzt wie ein Bräutigam, dachte Recha, die sich nur mühsam ein Lächeln abrang. Lea dagegen strahlte und humpelte unbekümmert mit ihrer Beinschiene auf ihn zu, und einen Augenblick lang schien auch sein Gesicht von innen zu leuchten, als ob ihm gerade diese unbeholfene Bewegung besondere Freude bereitete. Tief in ihr schlug eine warnende Stimme an, aber sie brachte sie nach einem Blick auf Esras mürrische Miene zunächst zum Schweigen. Der nämlich schien alles andere als erfreut, Annas jungen Oheim zu Gast bei ihnen zu sehen, der ihn nur allzu deutlich an das eigene Versagen erinnerte, verstummte jedoch vorerst und begnügte sich damit, auf das weiße Tischtuch zu starren.
    Alles vollzog sich wie gewohnt. Der Feiertag wurde mit dem Kiddusch begrüßt.
     
    »Heilige Pessachfeierklänge künden uns von alter Zeit,
da uns Gott aus Schmach befreit,
aus der Knechtschaft düstren Enge.
Und so jauchzen freudentglommen,
dankbar jubeln wir dir zu,
Frühlingsfest der Freiheit du,
Sederabend, sei willkommen …«
     
    Esra spürte, wie Guntram ihn bohrend dabei musterte, ließ sich aber nichts anmerken.
    Nicht nur Jakub, sondern alle am Tisch erhoben den Becher und nahmen den Trunk der Freiheit. Danach brachte Lea dem Hausherrn Schüssel und Kanne, wusch seine Hände, und er brach ein Stück der mittleren Matze ab, die Nachspeise, die gut versteckt und erst nach der Mahlzeit verteilt werden würde. Dann nahm er den Knochen und das Ei von der Sederschüssel. Die Schüssel selber wurde hochgehoben und mit dem Gebet begleitet: »Dies ist das Brot des Elends, das unsere Vorfahren im Lande Mizrajim gegessen haben.«
    Guntram fühlte, wie seine Kehle eng wurde. Alles war fremd für ihn und seltsam vertraut zugleich. Am liebsten hätte er für immer an diesem festlich gedeckten Tisch gesessen, neben dem Mädchen, dessen zarter Duft wie eine erste Frühlingsahnung zu ihm hinüberwehte. Ihre schwere Krankheit - welch Segen für ihn! Sie hinkte, noch immer. Ihr Bein würde lahm bleiben, das war ihm längst klar. Gerade weil er gesehen hatte, wie mühsam das Gehen für sie war, fühlte er sich ungeheuer erleichtert. Seit jeher hatte er geahnt, dass Lea und er füreinander bestimmt waren. Aber wie konnte er mit seiner Fratze, seinem Teufelsmaul, solche Hoffnungen hegen? Aber nun, endlich, war aus der Ahnung Gewissheit geworden. Kein

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