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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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passiert, wenn unser Volk aufmuckt. Für jeden Christen, dem etwas zustößt, zehn oder hundert Juden. So lautet eure Regel. Oder gleich die ganze Gemeinde auf einmal. Das ist ein hoher Preis. Zu hoch für meinen Geschmack.«
    Er sagte nicht die ganze Wahrheit. Seitdem man ihn niedergeschlagen hatte, hegte er sehr wohl Rachegedanken. Seit Wochen kam er nicht mehr von ihnen los. Sie hielten ihn besetzt, hatten seine Seele ganz und gar mit Beschlag belegt. Er lief durch die Gassen, spähte in die Höfe, hatte versucht, die Männer ausfindig zu machen, die ihn hinterrücks überwältigt und daran gehindert hatten, im rechten Moment bei seiner Familie zu sein. Bisher allerdings umsonst. Manchmal fühlte er sich krank vor lauter Hilflosigkeit und ohnmächtiger Wut. Dann biss er sich in die Fäuste, anstatt sie gegen die erheben zu können, die es verdient hatten. Es war wie ein Geschwür, das in ihm wuchs, ihm die Luft abschnürte, ihn auszehrte. Und bisher hatte es niemanden gegeben, mit dem er hätte darüber reden können.
    »Vielleicht, weil ihr zu lange stillgehalten habt«, fuhr Guntram nachdenklich fort. Es hörte sich an, als habe er sich schon länger damit beschäftigt. »Keiner hier in Köln glaubt doch, dass er wirklich mit euch rechnen muss. Aber wenn ihr einmal beweist, dass ihr echte Männer seid …«
    »Männer? Wir sind Kammerknechte des Königs, nicht mehr und nicht weniger.« Esras Stimme klang bitter. »Und keine Knappen oder gar Ritter.«
    Er hatte sich insgeheim eine Frist gesetzt, die bald verstrichen sein würde. Wenn er die Übeltäter dann nicht gefasst hätte, würde er weglaufen, die Stadt verlassen und, wenn es nach ihm ginge, nie wieder nach Köln zurückkehren. Auch wenn es hier die Familie gab, die ihn brauchte und auf ihn zählte - so konnte und wollte er nicht weiterexistieren, immer geduckt, stets getreten. Es musste ein anderes, ein würdevolleres Leben anderswo für ihn geben, jetzt, wo er nicht nur Anna, sondern auch noch seine Ehre verloren hatte!
    »Und ich bin ein einfacher Färber, der sich Tag für Tag an den Pötten schinden muss«, erwiderte Guntram. Den jungen Juden ging es nichts an, woran er eigentlich in der Stille seiner Kammer arbeitete. Vielleicht würde er ihn später einmal einweihen. Konnte sogar sein, dass er einen besonderen Sinn für seine Versuche entwickeln würde. Vorerst jedoch gab es nichts zu überstürzen. »Aber wehe dem, der mir an den Pelz will! Du hast mindestens so viele Muskeln wie ich. Warum stehst du dann nicht einfach auf und schlägst zurück? Zusammen mit deinen Freunden? Warum bringt ihr ihnen nicht Respekt bei? Wenn du mich fragst, ich wüsste schon, wie!«
    Die breite Narbe glühte. Jetzt sah er wieder wie ein Wolf aus.
    Esra wurde unsicher und spürte, wie er vor Aufregung zu schwitzen begann. Vielleicht war er bereit gewesen, zu schnell aufzugeben. War das etwa ein Angebot gewesen? Und Annas junger Oheim wollte sich auf seine Seite schlagen? Aber weshalb? Was hatte dieser Guntram schon davon?
    Besser, er versetzte ihm einen gezielten Hieb, an den der Färbergeselle sich lang erinnern würde. Wenn er Anna nicht bekommen konnte, sollten auch andere sich in Sehnsucht verzehren. »Sie ist noch ein Kind«, sagte er tonlos und hob das Kinn, um unauffällig auf Lea zu weisen. »Und eine Jüdin dazu. Hast du das vergessen? Das solltest du nie vergessen! Außerdem liebe ich sie mehr als mein Leben. Ich würde niemals zulassen, dass jemand ihr ein Leid zufügt. Und falls doch …« Sein Blick wurde stier.
    »Ein Leid? Was redest du da?«, protestierte Guntram.
    Esra aber stand auf, streckte seine Glieder und stellte sich neben den Tisch, als habe er genug von der Unterredung.
    Jakub, der nichts von alledem bemerkt hatte, erhob sich und ging zur Tür. Voller Entsetzen starrte Recha ihm hinterher.
    »Aber du willst doch nicht etwa … nach allem, was neulich passiert ist! Hast du nichts über diese Prozession gehört, die um Mitternacht an ihrem Karfreitag beginnen soll? Das Kreuz, das sie auf ihren Schultern durch die Stadt schleppen? Hast du schon vergessen, wie sie Daniel zugerichtet haben? Soll uns allen hier vielleicht das Gleiche passieren - bei lebendigem Leib?«
    Er öffnete die Tür, ohne auf ihre Widerreden zu achten, und alle sogen erleichtert die kalte Luft ein, die hereinströmte.
    »An diesem Tag hat niemand hier im Viertel Angst vor Dieben oder Einbrechern«, sagte er mit fester Stimme. »Wir brauchen keine Waffen, um sie gegen unsere

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