Pforten der Nacht
ließ Bela zusammenfahren. Auf einmal spürte sie die Kälte in allen Knochen und die Last der Jahre mit dazu. Ganz von fern glaubte sie höhnisches Gelächter zu hören. Die Flussgeister, die sich über ihre Dummheit und Gutgläubigkeit lustig machten? Die spöttisch kichernd die endlose Reihe seiner Buhlschaften herunterbeteten, all die Treuebrüche, Lügen, Täuschungen. Fässer voller Tränen hatte sie geweint, ihn angefleht, beschimpft, verflucht. Ohne Ergebnis. Jan hatte sie tausendmal verraten und war nur dem einzigen Herrn treu geblieben, dem er mit Freuden diente - sich selber.
Die Jahre mit ihm flogen in ihrer Erinnerung vorbei. Ein Geschlecht von Riesen? Zwei Söhne hatte sie ihm nach zahllosen Schwangerschaften und Fehlgeburten unter Mühen geschenkt, von denen der eine dumpf und allzu schnell zufriedenzustellen war und der andere sensibel und leicht irritierbar wie die hochgezüchteten Rennpferde, mit denen die Mauren Handel trieben. Und verletzlich dazu. Wie er sich am Aschermittwoch nach der Messe in ihre Arme gestürzt hatte, verwundet, stammelnd, fast von Sinnen!
Es musste gehandelt werden, und sie hatte es schnell getan, ohne lange an die Folgen zu denken. Dabei hätte ihr klar sein müssen, wie Jan reagieren würde. Nur einmal in all den Jahren war er so wütend, so außer sich gewesen - als der italienische Graf sie damals im Hof geküsst hatte und er dazugekommen war. Keiner vergriff sich ungestraft an seinem Eigentum, seinen Pferden, Hunden, Söhnen! Auch nicht an seiner Frau, selbst wenn er sie schon lange nicht mehr begehrte und sie das Tag für Tag spüren ließ.
Dieses Mal schien es beinahe noch schlimmer. Einen schrecklichen Augenblick lang hatte sie befürchtet, er würde die Reitgerte heben und sie damit züchtigen, aber er schaffte es offenbar im allerletzten Moment, sich zu beherrschen.
»Mach das nie wieder, Weib!« Seine Augen waren kalt. »Sonst wirst du es bereuen, das schwör ich dir!« Er rang nach Luft. »So mag Johannes bei den Pfaffen knien. Ein bisschen Buße - weshalb nicht? In der Osternacht freilich ist er mein und wieder zu Hause. Und wenn nicht, dann Gnade dir Gott!«
Sie zeigte keine Reaktion. Aber in ihrem Herzen wurde es froh und leicht. Sie hatte Johannes in die Obhut von Bruno de Berck gegeben, den sie als verständigen, besonnenen Kirchenmann schätzte. In den schützenden Mauern des Minoritenklosters würde ihr geliebter Sohn wieder zu sich finden; dort konnte seine Seele geläutert werden. Sie wusste nicht, welche Last auf ihr lag. Sie wollte es auch gar nicht wissen. Denn die Schuld an alledem trug Jan. Wäre er ein anderer, ein verständnisvollerer Vater gewesen, der seine Kinder nicht in die Ferne verbannte, lägen die Dinge ganz anders.
So aber war keiner der Söhne nach seinem Geschmack. Kein Pfand, um seine Liebe auf Dauer zu halten. Und doch das Einzige, was von ihrem Traum geblieben war. Rutger war ihr nie besonders nah gewesen und im Lauf der Jahre immer fremder geworden; er diente sich dem Vater an, versuchte alles, um Jans Wohlwollen zu erregen, obwohl es ihm kaum gelang. Er war kein Verbündeter, allenfalls ein Mitläufer, der sein Fähnchen aus Feigheit und Bequemlichkeit nach dem Wind hängte.
Ganz anders Johannes! Ihr Jüngster war Fleisch von ihrem Fleisch, aus demselben Stoff gemacht wie sie. Und er sah dem verstorbenen Frans sehr ähnlich, der sich an diesem Enkel erfreut hätte, dessen Heranwachsen er nicht mehr erleben durfte. Wenn sie in seine Augen sah, dann fand sie etwas von ihrer Seele wieder, von ihren Wünschen, Hoffnungen, Sehnsüchten. Nein, er durfte kein Schurke und Halsabschneider wie sein Vater werden! In ihm lebte das Erbe der Huggenrodes weiter. Dafür lohnte es sich zu kämpfen. Mit allen Mitteln, falls notwendig.
Sie unternahm ihre Spaziergänge am Rhein nicht nur, um alten Erinnerungen nachzuhängen und sich von unsichtbaren Wesen verhöhnen zu lassen. Der Fluss war Zeuge ihres Verlangens gewesen. Und er hatte mit seinem Rauschen ihre größten Niederlagen begleitet. Nun sollte er auch ihren Triumph mitansehen. Jan konnte sie nicht ans Zeug, dazu war er zu vorsichtig und gerissen, aber ihr war ein Weg eingefallen, um seinen Mittelsmann anzugehen. Wenn Johannes nach Ostern schon nach Italien musste, war es wichtig, Menschen in seiner Nähe zu wissen, die ihr etwas schuldeten. Vielleicht konnte sie so für seinen Schutz sorgen. Und zumindest indirekt Einfluss auf seine Entwicklung nehmen.
Seit Monaten war Bela damit
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