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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Feinde zu erheben, kein Schwert, keinen Stahl.« Er schien direkt zu Guntram zu sprechen, der in diesem Augenblick seltsam beschämt den Kopf senken musste. Esra dagegen starrte den Onkel unverwandt an. Blicklos, als sei er mit seinen Gedanken anderswo. »Denn über uns wacht die Hand Gottes.«
    Jakub reckte sich, kam zurück an den Tisch und erhob den Becher für den Abschlusssegen, der an keinem Sederabend fehlen durfte. » Leschana Haba be’ Jerucholajim - nächstes Jahr in Jerusalem!«
    Die Frauenstimmen fielen ein, Rechas tiefe, Leas helle, die so fröhlich, so unbeschwert klang. Guntram und Esra tauschten einen letzten Blick. Keiner verzog eine Miene.
    Aber jeder der beiden hätte brennend gern gewusst, was gerade in dem anderen vorging.
     
    Sie waren kaum mit der grünen Suppe fertig, als die Tür aufging und Leonhart Ardin in die Stube trat. Guntram war schon seit dem Nachmittag irgendwo in der Stadt unterwegs; die anderen saßen alle einträchtig zusammen um den Tisch. Ein halbes Dutzend Kerzen steckte im Leuchter, wie stets seit einiger Zeit, und sie hatten aus neuen Schüsseln gegessen, die glatt und besser gebrannt waren als das alte irdene Geschirr. Die Maulwürfin, ungewohnt ordentlich in einem blauen Leinenkleid und ausnahmsweise sogar frisiert, murmelte Grußworte; Hermanns Gesicht verzog sich zu freudigem Grinsen.
    Auf einmal glaubte Anna zu wissen, was es mit dem fröhlichen Pfeifen auf sich hatte, das er während der letzten Tage immer wieder hatte hören lassen. Sie hob den Kopf nur einmal kurz, nickte dem Gast zu und wischte dann so sorgfältig wie zuvor die Reste auf ihrem Teller mit einem Brotkanten aus.
    »Mahlzeit«, sagte der Gerber freundlich. »Ich hoffe, ich bin nicht zu früh?«
    »Keineswegs«, versicherten Hermann und Hilla wie aus einem Mund, »du kommst genau richtig.«
    Der Hausvater bot ihm einen Stuhl an, und Ardin setzte sich. Hilla ließ es sich nicht nehmen, eigenhändig einen Krug Roten und ein paar Becher zu holen, und schickte Barbra und Agnes kurzerhand ins Bett. Ursula, die seit ihrem Einzug nicht einen Augenblick daran gedacht hatte, mit der Magd in der Küche zu essen, nahm sich eine Näharbeit vor und machte keinerlei Anstalten, den Raum zu verlassen. Hermann schielte einige Male in ihre Richtung, was sie zu ignorieren wusste. Sie erhob sich erst, als er sie ausdrücklich darum bat; packte dann aber Linnen und Garn und verschwand ohne Widerrede.
    Schweigen breitete sich aus. Es war ungewohnt gut eingeheizt, und Anna gefiel es, ihren Rücken am Kachelofen zu wärmen. Sie jedenfalls würde nicht den Anfang machen. Ging es nach ihr, konnten sie bis zum nächsten Morgen stumm wie gekochte Karpfen dasitzen und an ihren Bechern nippen!
    »Du weißt, warum er hier ist?« Hermann hielt es als Erster nicht mehr aus.
    Anna zuckte die Achseln. »Wenn es das ist, was ich annehme, dann hätte er sich den Weg sparen können«, sagte sie unverblümt.
    »Ich bin gekommen, um dich zu freien, Anna. Willst du meine Frau werden?« Ardins Stimme klang leicht belegt, so, als ob es ihm nicht leichtfiele, so direkt zu werden.
    Sie ließ eine Weile verstreichen. Dann stand sie auf und schüttelte stumm den Kopf.
    »Anna!« Hermanns Wangen begannen sich zu röten. »Das ist doch keine Antwort! Sieh ihn wenigstens an!«
    Ardin hatte sich ebenfalls erhoben. »Seit dem Tod meiner lieben Frau vor fünf Jahren bin ich allein. Kinder hat sie mir nicht geschenkt. Ich sehne mich nach weiblicher Gesellschaft und brauche eine brave, tüchtige Hausfrau an meiner Seite, Anna. Und du scheinst mir die richtige Gefährtin zu sein. Ich bin freilich um einiges älter als du«, sagte er, »und alles andere als ein junger, feuriger Mann. Aber ich kann dir ein sicheres, sorgenfreies Zuhause bieten. Sechs Gesellen und vier Lehrlinge stehen bei mir in Lohn und Brot; und die Auftragslage ist zufriedenstellend. Ja, mein Geschäft geht wirklich gut. Das Haus habe ich von meinem Vater geerbt und im Lauf der Jahre um ein paar Grundstücke angereichert.«
    Auf seiner Stirn hatte sich ein Schweißfilm gebildet. Er war aufgeregter, als er zeigen wollte. Seine Lider flackerten, sahen dünn aus, wie vielfach gebrauchtes Pergament. Sein Haar war lang und von unzähligen silbernen Fäden durchzogen; der kurze Bart schimmerte grau. Außerdem hatte er zahllose braune Flecken auf den Händen. Altersflecken.
    Unwillkürlich schauderte es sie. Wenn er sie damit berühren würde … Ekel überfiel sie. Und würgende Übelkeit, schon

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