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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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patzig, wenn Jakub ihn mahnend darauf ansprach. Er mied die Bücher, über denen er sonst gebrütet hatte, fast schon auffällig, war bei den häuslichen Mahlzeiten nur noch ein seltener Gast und verhielt sich den anderen Familienmitgliedern gegenüber wie ein zerstreuter, meist mürrischer Fremder, der sich ganz zufällig hierher verlaufen hatte. Niemand wusste, wo er sich den ganzen Tag und manchmal bis weit in den Abend hinein herumtrieb, und auf ihre Bitte, rechtzeitig zu Hause zu sein, bevor die Tore geschlossen wurden, fuhr er Recha regelrecht an.
    »Du hast doch selbst gesehen, wozu deine schönen Mauern nütze sind!«
    Mit höhnischem Ausdruck wies er zum gegenüberliegenden Grundstück, das bis auf die Grundfesten abgebrannt war. Jonathan und seine junge Frau Muriel hatten in einer einzigen Nacht alles verloren. Es würde lange dauern, bis sie an einen Wiederaufbau denken konnten, selbst angesichts der großzügigen Hilfe, zu der sich die jüdische Gemeinde entschlossen hatte. Zum ersten Mal sah sie im kalten Licht, dass er kein Knabe mehr war, sondern ein Mann. Die Erkenntnis passte zu dem Schrecken, der sie heute Morgen ohne Vorwarnung vor dem Kupferspiegel überfallen hatte: strahlenförmige Falten im Gesicht, Flecken auf den Händen. Alt sah sie aus und müde. Vielleicht war auch die nasse, trübe Witterung mit daran schuld, dass alles so beschwerlich war. Der März fast vorbei, und noch immer ließ der Frühling auf sich warten. Noch bis vor einer Stunde hatte es so heftig geschneit, als löse sich der Himmel in Fetzen auf. Sie hatte kräftig nachgeschürt, aber die Kälte kroch trotzdem durch jede Ritze.
    Esra war noch nicht fertig. Seine junge, zornige Stimme drang in ihre Gedanken. »Es gibt keinen Schutz, verstehst du? Nicht für unsereins. Für sie stehen wir unter den Tieren. Nichts als Freiwild sind wir, würde- und rechtlos, und unsere Jagdsaison dauert das ganze Jahr an.«
    Er wandte sich ab, ließ sie einfach stehen. Was ging in ihm vor? Womit quälte er sich? Doppelt beunruhigt wandte sie sich an Lea, aber auch von dem Mädchen kam kein wirklicher Trost.
    »Er schämt sich, weil er versäumt hat, uns in der Brandnacht zu verteidigen«, sagte sie. »Etwas, was er sich nicht verzeihen kann. Du weißt doch, wie stolz er ist! Jetzt fühlt er sich den Christen unterlegen. Und wer weiß, wenn Guntram nicht gewesen ware …«
    Da war er wieder, jener schwärmerische, leicht verzückte Ausdruck, den Recha am beunruhigendsten von allem fand! Die Kleine hatte ihren Retter zum Helden erhoben, sprach Tag für Tag begeisterter von seinem Mut, seiner Entschlossenheit. Ihr Wunsch war es gewesen, ihn zum Sederabend einzuladen, um die Dankbarkeit aller auszudrücken. Rechas Einwand, es sei doch ein Familienfest, wusste sie entschieden abzuweisen.
    »Sind nicht an diesem Abend Gäste ganz besonders willkommen?« Die dunkelblauen Augen leuchteten. »An jedem Sedertisch wird doch ein Platz freigehalten für die, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht nach Hause kommen konnten!«
    Ja, dachte Recha grimmig, das gilt für unsere Brüder Samuel, Nathan und Moses und ihre Frauen und Kinder, wie immer sie auch heißen mögen. Das hat auch für Miriam gegolten, als sie noch nicht mit Simon verheiratet gewesen war und den Namen Maria trug! Niemals würde sie den Abend vergessen, als ihr Schwager das zitternde, verängstigte Mädchen mit ins Haus gebracht hatte. Mit Esras Gesten und Leas sprechenden Augen … Miriam, obwohl schon lange Jahre tot, lebte wahrlich in ihren Kindern weiter! Aber doch nicht für diesen wilden Christenjungen, der ihr seit seinem Auftreten als Retter eher noch suspekter geworden war. Er hatte Mut gezeigt, sich gegen seinesgleichen gestellt und ihnen aus der Not geholfen, das stand außer Zweifel, aber musste er sich dazu wie ein wildes Tier verkleiden? Bestimmt hatte er sich in der Nacht nicht anders verhalten als die anderen auch, hatte getrunken, gehurt, harmlose Leute mit bösem Schabernack erschreckt. Ihr schwante, dass sein beherztes Eingreifen einzig und allein mit Lea zusammenhing, und diese Gewissheit gefiel ihr noch weniger als alles andere.
    Zu ihrer Überraschung machte sich Jakub für Leas Vorschlag stark. »Ich mag deine Idee«, sagte er anerkennend und ließ seine warme Hand ein paar Augenblicke auf ihrem Kopf ruhen. »Gerade nach dem, was neulich geschehen ist, sollten wir an Aussöhnung und Vergebung denken.« Er sprach so nachdrücklich, als versuche er sich selber zu

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