Pforten der Nacht
beschäftigt, so viel wie möglich über den Lombarden mit dem klingenden Namen herauszubekommen. Späher hatte sie angesetzt, Spione geworben, geschmiert und bestochen, alte Verbindungen in der Stadt spielen lassen, am meisten aber vertraute sie noch immer ihren eigenen Beobachtungen. Inzwischen wusste sie, dass der gutaussehende Karwertsche sein Geld mit englischer Wolle, spanischem Wein und flandrischen Spitzen machte. Paolo di Marco Datini war dem Glücksspiel alles andere als abgeneigt und besaß eine geschickte Hand bei Spekulationen mit Grund und Boden, wie die jüngsten Eintragungen in den Schreinskarten vermerkten.
Drei Kinder, eine rundliche, schon ziemlich verbrauchte Ehefrau, die die Messe mindestens so regelmäßig besuchte wie er die Huren in der Schwalbengasse. Sein Appetit auf Frauenfleisch schien enorm. Ein schwacher Punkt, der Bela van der Hülst äußerst gelegen kam. Denn ihr war zu Ohren gekommen, er habe sich eine attraktive Buhlschaft aus Italien geholt und sie fürstlich in einem Haus am Heumarkt untergebracht. Susanna Tarlezzo sei ihr Name.
Und mehr als einer in der Stadt munkelte, sie trage sogar seinen Bastard unter dem Herzen.
Lange vor Pessach hatten die umfangreichen Vorbereitungen der Hausfrauen begonnen. Im gesamten Judenviertel Kölns wurde Hühner- und Gänsefett in besonderen Gefäßen gesammelt, Honig geschleudert, Rote-Bete-Suppe angesetzt. Zudem musste das gesamte Geschirr gekaschert werden: mit kochendem Wasser reingespült, gerieben, geputzt und schließlich mit kaltem Wasser übergossen; Kupferpfannen und Eisentöpfe wurden ausgeglüht, um den speziellen Reinheitsgeboten für diese Tage zu genügen. Schon im Vorübergehen sah man, dass das Frühlingsfest bevorstand. Vor jedem Haus standen auf beiden Seiten der Straße offene Truhen, die von den Frauen und Mädchen gewaschen, gebürstet und getrocknet wurden. Drinnen wurde kaum weniger emsig mit Besen und Lappen herumgefuhrwerkt, um ja kein Krümelchen zu übersehen, so gründlich und nachhaltig, dass mehr als ein Mann oder Sohn Reißaus nahm. Vor allem musste jede Spur von Sauerteig entfernt werden, auch aus den entferntesten Winkeln. Fast, als würde ein anderes Leben beginnen, neu und rein. Wie der wunderbare Anfang, den Gott seinem Volk Israel beim Auszug aus Ägypten geschenkt hatte.
Sonst fieberte die ganze Gemeinde Frühjahr für Frühjahr geschlossen dem Geburtsfest des Volkes Israel entgegen. In diesem regnerischen Nissan des jüdischen Jahres 5103 aber wollte sich die gewohnt freudige Stimmung nicht einstellen. Jeder im Viertel hing düsteren Gedanken und noch schwärzeren Befürchtungen nach, selbst wenn sie es voreinander zu verbergen suchten. Es hatte eine Untersuchung über die Vorfälle in der Fastnacht gegeben, lustlos vom Schöffenkolleg angeordnet und noch schlampiger durch seine Büttel durchgeführt. Mit keinerlei brauchbaren Ergebnissen, wie kaum anders zu erwarten. Ebenso wenig waren die Schuldigen auszumachen gewesen, die den jüdischen Friedhof geschändet hatten. Daniel war in aller Stille ein zweites Mal begraben worden. Seitdem ruhte der Schleier des Vergessens auf der ganzen Angelegenheit.
Zumindest auf christlicher Seite. Für die Juden freilich war es anders. Jakub spürte, wie es hinter der Stirn der Männer beim Gottesdienst in der Synagoge arbeitete, und er selber schaffte es nicht einmal während des Morgen- und Abendgebets, sich von den Gedanken zu befreien. Die Gebetsriemen um den Kopf und um den linken Arm geschlungen, sodass das Herz gegen die Kapsel mit dem Glaubensbekenntnis schlug, mit geschlossenen Füßen dastehend, ganz nach Brauch, gen Osten gewandt, in Richtung Jerusalem. Seit nahezu fünfzig Jahren, Tag für Tag zweimal, pflegte er auf diese Weise zu beten, aber nie zuvor hatte sich seine Seele beladener gefühlt.
Recha erging es ähnlich. Zwar tauschte sie freundliche Belanglosigkeiten mit ihrer Nachbarin Deborah aus, die jedes einzelne Kleidungsstück ins Freie gezerrt hatte und mit fast schon wütender Inbrunst wendete und bürstete, aber ihr Herz und ihre Zunge gingen verschiedene Wege. Es war nicht nur der brutale Überfall in der Fastnacht, der den Frieden ihrer kleinen Welt gestört hatte und sie nicht mehr zur Ruhe kommen ließ; es war vielmehr die seltsame Entwicklung, die sich seitdem mit den Kindern vollzogen hatte. Esra war missmutig und wortkarg geworden; die meiste Zeit über blieb er unsichtbar, vernachlässigte seine Pflichten in der Synagoge und reagierte
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