Pforten der Nacht
so gut für dich ausgegangen ist, in diesen unruhigen Zeiten, die viele zu Boden zwingen.«
Der alte Zwist zwischen ihnen war bereinigt. Regina liebte das Kind und hatte niemals gefragt, wer Floras Vater war, Anna jedoch war fest überzeugt, dass sie es dennoch ahnte, wenn nicht sogar wusste. Die Begine war nicht wie andere Frauen, die ihr Herz auf der Zunge trugen. Vielleicht trafen ihre Worte deshalb wie gut geschliffene Messer.
»Wir müssen tagein, tagaus Frauen an der Pforte abweisen, die uns um Aufnahme anflehen«, fuhr Regina fort. Ihr war heiß; unter der Haube standen kleine Schweißperlen. »Jetzt kommen vor allem die, die keine Mark Mitgift haben. Sondern einen bösen Ehemann oder einen geizigen Vater, der seine Tochter lieber heute als morgen auf billige Weise loswerden würde. Dazu Kranke und Bettlerinnen ohne Ende.« Sie begann ein Bündel Kräuter für den Mörser zu zerrupfen. »Ich geb dir noch ein Töpfchen Anistinktur mit auf den Weg. Falls deine Kleine doch wieder Blähungen bekommt. Ein bisschen Bärwurz, etwas Kümmel, und sie ist im Nu gesund.«
Beide schwiegen, während Regina geschickt hantierte; nur die Kleine, die Viva doch erwischt hatte, schrie schrill auf, weil die Katze sich mit einem Kratzer zur Wehr gesetzt und aus ihren Fängen befreit hatte. Sie wurde erst wieder ruhig, als die Mutter sie auf den Schoß zog und koste. Jede der Frauen hing ihren eigenen Bildern nach: Anna dachte an den frühen Morgen im Fluss, der so lange zurückzuliegen schien, die Stimme Michas und Ardins freundliche Aufnahme; Regina an die Demütigung vor dem Schöffenkolleg, dem es offenkundig Spaß gemacht hatte, eine Begine ganz öffentlich in ihre Schranken zu weisen. Besonders deutlich im Gedächtnis geblieben war ihr das schadenfrohe Gesicht Jan van der Hülsts, das die Genugtuung über ihre Niederlage nur zu deutlich widerspiegelte. Nicht einmal die Fürbitte de Bercks hatte etwas auszurichten vermocht. Trotz aller Bemühungen, aller Eingaben, aller Winkelzüge war es ihr nicht gelungen, das Haus für ihre Nichte zurückzugewinnen. Inzwischen hatte Hermann Windeck so gut wie alles verspielt und den mickrigen Rest mit nutzlosen Anschaffungen verplempert. Ausgerechnet dann im großen Maß mit Alaun zu spekulieren, wenn billige Ware aus dem Osten den Markt überflutete und alle Preise ins Bodenlose sanken! Hilla und die Mädchen jedenfalls standen um keinen Deut besser da als zuvor. Allerdings ging es auch dem Konvent trotz straffer, umsichtiger Führung wirtschaftlich schlechter als noch vor einigen Jahren.
Über heißen Ziegelsteinen ließ Regina die grünliche Flüssigkeit in einem eisernen Grapen sieden, bis die Konsistenz allmählich dicker wurde.
»Inzwischen müssen wir uns hier schon ordentlich nach der Decke strecken«, sagte sie. »Walrams Klöppelaufträge sind beinahe versiegt. Er braucht sein ganzes Geld jetzt für die aufsässigen westfälischen Grafen. Hätte nicht Jan van der Hülsts künftige Schwiegertochter reichlich Spitzenwäsche für ihre Aussteuer bestellt und gäbe es die Einnahmen aus der Apotheke nicht, wir würden schlecht dastehen.«
»Rutger heiratet?«, fragte Anna erstaunt. »Wen denn?«
»Ganz recht. Und zwar Veronika von Herrenberg, die jüngste Tochter der reichen Fernhandelsfamilie. Keine Schönheit, beileibe nicht, aber würde sie sonst den feigen Dickwanst zum Mann nehmen? Du siehst, es kommt also wieder einmal Geld zu Geld. Bei uns dagegen sieht es trüb aus. Wenn das so weitergeht, werden wir über kurz oder lang wieder die Leichenwäsche übernehmen müssen.« Sie seufzte. »Dann fängt alles von vorn an: Neid, Verdächtigungen, Verleumdungen und das missgünstige Gerede der Leute.« Ein weiterer, tieferer Seufzer.
»Sie brauchen wohl immer jemanden, über den sie sich das Maul zerreißen. Einmal sind es die Beginen. Dann wieder die Juden, so wie jetzt. Überall in der Stadt ist die Rede von ihren Schandtaten.«
Das Kind war eingeschlafen, lag mit geöffnetem Mund in Annas Arm. »Mir ist vor ein paar Tagen Recha über den Weg gelaufen. Ich bin erschrocken, wie alt und müde sie ausgesehen hat.«
»Hast du mit ihr geredet?«
»Nur ein paar Worte, und schon dabei hat sie ständig ängstlich zur Seite geschaut, als ob jemand hinter ihr her wäre. Seitdem Esra nicht mehr in Köln ist, ist sie mir gegenüber ganz anders geworden, abweisend, fast kalt. Beinahe, als ob sie mir die Schuld an seinem Weggang geben würde.« Sie hielt inne. »Meinst du, es könnte doch
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