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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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jener schrecklichen Fastnacht unverändert; noch immer hatte er niemals ein unfreundliches Wort aus ihrem Mund gehört. Und das, was ihn am meisten quälte, die Hasenscharte, das Teufelsmaul, schien für sie gar nicht zu existieren.
    Er sah, wie sie langsamer wurde, schließlich einen Augenblick wie erstarrt stehen blieb. Dann lief sie los, so schnell sie mit dem lahmen Bein nur konnte, um einem großen, dunkelhaarigen Mann um den Hals zu fallen, der ein schwer bepacktes Pferd am Zügel hielt. Schmerzvoll zog sich sein Herz zusammen, und jähe Eifersucht wallte in ihm auf.
    Sie war sein, sein, und gehörte ihm ganz allein!
    Dann aber entspannten sich seine Züge, noch bevor er ihre helle, süße Stimme hörte, und er wusste auf einmal, wer der Reisende war.
    »Esra! Mein Esra! Dass du endlich wieder nach Hause gekommen bist!«
    Der junge Jude schaute über ihren Kopf, der an seiner Brust gebettet lag, und begegnete Guntrams Blick. Vier Jahre waren inzwischen vergangen, aber es hatte sich nichts geändert. Jeder wusste etwas vom anderen, was der lieber für sich behalten hätte. Bei dem einen war es der unstillbare Drang nach Rache. Beim anderen das grenzenlose Verlangen nach Liebe.
     
    Anna hielt Flora wie ein warmes Brot im Arm, der ganze Körper schwach vor Glück, wie immer, wenn sie ihr Kind berührte. Sie war inzwischen über drei Jahre alt, ein dralles, lustiges kleines Mädchen mit blonden Locken und den grauen Augen ihrer Mutter, als habe sie sich aus Diplomatie für diese unverfänglichste aller Möglichkeiten entschieden. Für ihr Alter plapperte sie schon ganz munter, und wenn sie rot und heiß vom Schlaf erwachte, so waren ihre ersten Worte immer »Mama, Mama«.
    Anna liebte sie zum Zerplatzen, so närrisch und übermäßig, dass Leonhart Ardin sie manchmal freundlich damit aufzog. »Man könnte meinen, Flora sei das einzige Kind, das jemals das Licht dieser Welt erblickt hat.«
    »Das einzige nicht, das schönste aber gewiss. Und das klügste und herzallerliebste gleich mit dazu!«
    Dabei war er selber der Kleinen ein warmherziger, freundlicher Vater, ließ sie auf seinen Knien reiten und fütterte sie bei den Mahlzeiten eigenhändig mit Leckerbissen. Wäre Anna nicht eingeschritten, er hätte sie bereits mit auf seinen Wagen genommen, mit dem er hinaus aus der Stadt fuhr, um mit den Bauern über neue Schaf- oder Ziegenhäute für seine Sämischgerberei zu verhandeln. Flora vergalt seine Zuneigung mit geradezu rührender Anhänglichkeit, presste ihre kleine Nase an seine Beine, kaum dass er die Stube betrat, und wollte erst einschlafen, wenn sich sein bärtiges Gesicht über ihr Bettchen gebeugt hatte.
    Es gelang Anna nicht, herauszufinden, ob es ihm leidtat, dass sie kein Junge war, oder ob er sich nach eigenen Kindern sehnte. Als sie einmal versucht hatte, ihn zu fragen, verzog sich seine Miene unwillig. Kein Wort mehr über den Sohn und Namensträger, den er eigentlich erhofft hatte. »Aber ich habe doch bereits eine wunderbare Tochter«, sagte er. »Meinen kleinen Augenstern. Und sollte uns der Allmächtige noch weitere Nachkommen schenken, will ich ihm ein großes Wachsopfer stiften. Fürs Erste bin ich ganz und gar zufrieden.«
    In der Tat schien ihm die Ehe mit Anna gutzutun. Sein Körper wirkte straffer, die Haltung aufrechter, und er hatte den Schmerbauch verloren, den er sich während seiner Witwerzeit zugelegt hatte. Außerdem hatte er sich einiges vorgenommen und trieb seine verschiedentlichen Geschäfte so ungeduldig voran wie jemand, der schon viel zu viel Zeit verloren hat. Das betraf nicht nur den Um- und Ausbau des Hauses, der ihm nicht schnell genug voranschreiten konnte, sondern auch die allmähliche Umstellung seiner handwerklichen Produktion von der Rot- auf die Sämischgerberei.
    »Sind eine geheizte Bohlenstube, ein Laubengang und ein nagelneues drittes Obergeschoss mit Fachwerk denn nicht schon mehr als genug?«, protestierte Anna, als er abermals mit Plänen vom Baumeister nach Hause kam. Manchmal bereitete ihr seine Großzügigkeit echtes Kopfzerbrechen. Inzwischen hatte sie herausbekommen, dass er seinen Schuldnern gegenüber langmütig war und vielfach Mühe hatte, längst fällige Außenstände mit der gebotenen Härte einzutreiben. Wenn jemand in Not geraten war, musste er es Leonhart Ardin nur sagen und konnte beinahe sicher auf eine Stundung bauen. »Das viele schöne Geld, das das alles verschlingt! Träumst du vielleicht insgeheim von einem Geschlechterturm, wie ihn die

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